Journalist über Wirecard: "Die Firma kam aus dem Schmuddel-Bereich"

Wohl kein Unternehmen der Finanzwirtschaft hat für mehr Schlagzeilen gesorgt als Wirecard - und in keinem Fall haben sich immer wieder so skurrile Wendungen ergeben.
Zwei Journalisten der Wirtschaftswoche haben die Geschehnisse um den Aschheimer Finanzdienstleister in einem Buch aufgearbeitet: In "Die Wirecard Story" schildern sie detailreich die Geschichte des Unternehmens von den Anfängen bis zum spektakulären Zusammenbruch im Juni 2020. Wir haben mit einem der Autoren, Volker ter Haseborg, darüber gesprochen.
AZ: Herr ter Haseborg, Wirecard galt lange als Deutschlands digitales Vorzeige-Unternehmen. Das ist schon wegen der Anfänge des Unternehmens verblüffend, oder?
VOLKER TER HASEBORG: Ja, die Firma kam aus einem schmuddeligen Bereich, hat anfangs Zahlungen für Online-Pornos und Glücksspiel abgewickelt. Wirecard hat auch schon früh dubiose Deals gemacht, zum Beispiel Zahlungen von Glücksspiel-Websites in Ländern abgewickelt, in denen das schon längst illegal war. Um das zu verschleiern, hat Wirecard Scheinfirmen genutzt. Und schon 2008 wurde berichtet, dass in der Bilanz etwas nicht stimmt - aber die Firma konnte das abschmettern. Sie hat damals eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie für die nächsten zwölf Jahre erfunden.

Die da wäre?
Wirecard hat öffentlichen Kritikern stets unterstellt, im Bunde mit Börsenzockern zu sein, die auf fallende Kurse wetten. 2008 konnte das Unternehmen das tatsächlich beweisen.
Da haben zwei Männer aus dem Dunstkreis der Aktionärsvereinigung SdK die Unternehmensbilanz kritisiert und auf einen fallenden Kurs gewettet. Sie haben also profitiert, als ihre Kritik öffentlich wurde und die Wirecard-Aktie einbrach. Das Unternehmen hat davon Wind bekommen und behauptet, hier wolle jemand ein braves deutsches Startup fertigmachen und damit Geld verdienen. Das war die Blaupause für die Verteidigungsstrategie.
"Bafin hat Wetten gegen Wirecard verboten"
Die setzte Wirecard auch ein, als der "Financial Times"-Redakteur Dan McCrum 2019 berichtete, dass in Singapur Umsätze erfunden wurden.
Auch ihm wurde erfolgreich unterstellt, er stünde im Verbund mit Börsenzockern. Die Münchner Staatsanwaltschaft hat gegen ihn und seine Kollegin wegen Marktmanipulation ermittelt, und die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat ein Shortselling-Verbot verhängt, also Wetten gegen Wirecard verboten.
Wieso hat die Bafin nicht Wirecard in die Mangel genommen?
Das hat sie auch, hat die Bilanz prüfen lassen - aber diese Prüfung hat noch angedauert, als Wirecard schon pleite war. Die deutschen Behörden waren schlecht aufgestellt, zu träge und langsam.
Somit konnte Wirecard den Milliarden-Betrug nach jenen kritischen Berichten Anfang 2019 noch eineinhalb Jahre lang fortsetzen.
In der Zeit konnte sich Wirecard neues Geld am Kapitalmarkt besorgen - das dann aus dem Unternehmen rausgeflossen ist. Kurz vor dem Untergang hat Wirecard die eigenen Kredite gut ausgeschöpft und Millionenkredite an Firmen in Asien vergeben. Man weiß nicht, was mit dem Geld passiert ist, ob nicht auch Wirecard-Leute oder Kumpel von Jan Marsalek die Hand aufhielten. Zum Beispiel floss Geld an das Unternehmen Ocap in Singapur - dessen Chef ein ehemaliger Wirecard-Manager war.
"In Marsaleks Büro war eine Trump-Figur in Lebensgröße"
Jan Marsalek ist neben Vorstandschef Markus Braun eine zentrale Figur in der Geschichte. Was für ein Typ ist er?
Er ist ein Wiener mit Charme und gepflegten Umgangsformen, aber auch mit einem Faible für Potentaten und russische Oligarchen. In seinem Büro stand eine lebensgroße Trump-Figur. Er hat alle möglichen Nebengeschäfte gemacht, hat zum Beispiel in eine libysche Söldnergruppe investiert, die Flüchtlingsströme abhalten soll.
Für Wirecard hat Jan Marsalek das sogenannte Drittpartnergeschäft in Asien aufgezogen, durch das angeblich die 1,9 Milliarden Euro umgesetzt wurden, die dann später nicht mehr aufzufinden waren. Was hat es denn damit genau auf sich?
Durch Porno und Glücksspiel hatte Wirecard zunächst einen guten Lauf und wuchs jedes Jahr um 30 Prozent. Doch irgendwann lief es nicht mehr: Beim Porno gab es immer mehr Konkurrenten, Glücksspiel wurde in vielen Staaten verboten. Also brauchte Wirecard neue Einnahmen, um die Erfolgsgeschichte des deutschen Digitalkonzerns fortschreiben zu können. Da haben sie sich das Drittpartnergeschäft einfallen lassen: Wirecard sollte Kunden an andere Zahlungsabwickler vermitteln und dafür eine Provision bekommen. Damit die Partner eine Sicherheit haben, falls die vermittelten Kunden faul sind, hat Wirecard angeblich die Provisionen zunächst auf Treuhandkonten hinterlegt. Mit diesem Drittpartnergeschäft hat Wirecard am Ende die - angeblich - großen Umsätze gemacht. Ansonsten war das Unternehmen defizitär.
Hat es dieses Drittpartnergeschäft wirklich gegeben?
Es ist unwahrscheinlich, dass es das Geschäft im behaupteten Umfang gab, höchstens in Bruchteilen. Die Treuhandkonten jedenfalls waren leer. Die Frage ist: War alles ein großer Fake? Das behauptet der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, der ehemalige Dubai-Statthalter von Wirecard, der für dieses Drittpartnergeschäft zuständig war. Er hat ausgesagt: Das Drittpartnergeschäft wurde erfunden, um Banken und Investoren zu täuschen und noch mehr Geld einzunehmen. Dafür sollen 200 Millionen Datensätze gefälscht worden sein.
Die Wirtschaftsprüfer von EY haben die Wirecard-Bilanzen jahrelang abgesegnet, samt dieser Milliarden aus Südostasien. Wie ist das möglich?
Zumindest im entscheidenden Zeitraum haben sie nicht genau genug geprüft, ob das Geld auf den Treuhandkonten wirklich da ist. Sie haben beispielsweise nicht mit der Bank gesprochen, sondern sich auf den Treuhänder verlassen. Das hat sich erst 2020 geändert und da kam raus, dass die Treuhandkonten leer sind. EY hätte den Skandal vermutlich verhindern können, wenn die Prüfer früher genau hingesehen hätten.
Zu Guttenberg hinterlässt Spickzettel für die Kanzlerin
Das Unternehmen kommt aus der Schmuddelecke und stand im Verdacht, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Dennoch hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Chinareise für Wirecard eingesetzt. Wie hat das Unternehmen das geschafft?
Indem es gute Lobbyisten beschäftigte, im Fall China war das der ehemalige Verteidigungsminister und CSU-Politiker Karl Theodor zu Guttenberg. Wirecard wollte einen chinesischen Zahlungsdienstleister übernehmen, Guttenberg hat persönlich bei der Kanzlerin vorgesprochen und ihrem Wirtschaftsberater vor der Chinareise einen Spickzettel hinterlassen. Die Kanzlerin hat sich dann in China für Wirecard eingesetzt - mit Erfolg. Guttenberg sagte später, er fühle sich total getroffen, als Lobbyist betrachtet zu werden, aber genau das war er eben: ein Lobbybaron. Neben ihm haben auch Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Ole von Beust und Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen für Wirecard lobbyiert.
Die politische Verantwortung klärt nun ein Untersuchungsausschuss. Wie nehmen Sie dessen Arbeit wahr?
Die Abgeordneten leisten hervorragende Arbeit, haben bereits zahlreiche haarsträubende Fehler der Behörden aufgedeckt. Leider läuft ihnen etwas die Zeit davon. Demnächst ist Bundestagswahl und der Untersuchungsausschuss wird in den Wahlkampf reingezogen.
Schließlich will Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der für die Finanzaufsicht Bafin zuständig ist, Kanzler werden. Wie schätzen Sie die politische Verantwortung ein?
Schnell standen die Finanzaufsicht Bafin und deren Chef Felix Hufeld im Fokus. Am Anfang hat ihn sein Dienstherr Olaf Scholz verteidigt. Aber dann kam etwa ans Tageslicht, dass Bafin-Mitarbeiter noch während der Krise mit Wirecard-Aktien gezockt haben. Da steht der Vorwurf des Insiderwissens im Raum, die konnten mit ihrem Wissen richtig Geld machen. Scholz hat dafür gesorgt, dass Hufeld nicht mehr Bafin-Chef ist, aber ab jetzt steht der Kanzlerkandidat somit total im Fokus. Was jetzt noch rauskommt, fällt auf ihn zurück. Untersucht wird auch die Rolle seiner Staatssekretäre, die direkt mit Wirecard-Managern im Austausch waren.
Wirecards ehemaliger Chef Markus Braun hat im Untersuchungsausschuss bereits ausgesagt. Wie hat er sich gegeben?
Er hat nur ein dürres Eingangsstatement verlesen, an dem man seine Verteidigungsstrategie ablesen konnte: Er sieht sich selbst als Betrogener. Daraus folgt: Dann wäre sein langjähriger Vertrauter Jan Marsalek der Schuldige.
Sein Kompagnon Jan Marsalek ist geflohen. Wo ist er?
Er ist nach Recherchen der "SZ" nach Weißrussland ausgereist, da verliert sich seine Spur. Man kann also nur spekulieren. Alles was man weiß, ist: Wenn er gefasst wird und zurück nach Deutschland kommt, wird es für einige Menschen sehr ungemütlich.

Melanie Bergermann/Volker ter Haseborg: "Die Wirecard Story. Die Geschichte einer Milliardenlüge", Finanzbuch Verlag, 272 Seiten, 19,99 Euro