Institute sehen Besserung erst ab Mitte 2010
Die führenden Forschungsinstitute erwarten keine zügige Erholung der deutschen Wirtschaft. Ende 2010 dürfte deshalb die Zahl der Arbeitslosen bei fast fünf Millionen liegen. Die Forscher verbinden ihre Prognose mit klaren Warnungen an die Politik.
Deutschland muss sich nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute auf ein zweites Rezessionsjahr gefasst machen. Die Lage werde sich wahrscheinlich nicht vor Mitte 2010 stabilisieren, prognostizierten die Institute am Donnerstag in Berlin bei der Veröffentlichung ihres Frühjahrsgutachtens, das die Institute im Auftrag der Bundesregierung erstellen.
Zwar schwäche sich die negative Entwicklung in den kommenden Monaten ab. Deutliche Hinweise auf ein Ende des konjunkturellen Einbruchs gebe es aber noch nicht, hieß es. Was schon am Mittwoch durchsickerte, wurde am Donnerstag offiziell: Die Institute erwarten für dieses Jahr einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,0 Prozent, im kommenden Jahr wird mit einem Minus von 0,5 Prozent gerechnet. Damit durchläuft die Bundesrepublik derzeit die tiefste Wirtschaftskrise seit ihrer Gründung. Die Weltwirtschaft sehen die Institute sogar in der tiefsten Rezession seit der Großen Depression Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wegen ihrer starken Exportorientierung sei die deutsche Wirtschaft davon besondern betroffen, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose mit dem Titel «Im Sog der Weltrezession».
Fast fünf Millionen Arbeitslose Ende 2010
Dies dürfte nach Einschätzung der Experten dazu führen, dass sich der Abbau von Beschäftigten beschleunigt. Die Kurzarbeit federe die Entwicklung zunächst ab. Wenn die Aufträge jedoch ausblieben, seien die Unternehmen gezwungen, sich von Mitarbeitern zu trennen. Die Arbeitslosigkeit schnelle dann voraussichtlich hoch und überschreite im Herbst die Marke von vier Millionen. Ende 2010 erwarten die Institute, dass die Zahl der Arbeitslosen knapp unter fünf Millionen liegt. Die Arbeitslosenquote wird für 2009 im Jahresschnitt mit 8,6 Prozent und für das kommende Jahr mit 10,8 Prozent angegeben. Die Institute weisen darauf hin, dass ihre Prognose auf der Annahme basiert, dass es mit staatlicher Hilfe zu einer langsamen Gesundung des internationalen Bankensystems kommt. «Diese Annahme ist mit großer Unsicherheit behaftet». Es sei keineswegs auszuschließen, dass es zu einer neuen Vertrauenskrise komme, mit weiteren Einbrüchen in der Industrieproduktion. «Dann wäre ein Abgleiten in eine weltweite deflationäre Abwärtsspirale nicht unwahrscheinlich». Eindringlich appellieren sie an die Bundesregierung, auf eine Lösung der Probleme des Bankensystems zu drängen. Durch Zuwarten könne sich die Situation weiter zuspitzen. «Es besteht das Risiko, dass es zu einer regelrechten Kreditklemme kommt». Es scheine unumgänglich, den politischen Druck auf die Banken zu erhöhen und sie notfalls zur Annahme staatlicher Hilfe zu zwingen. «Selbst eine Verstaatlichung stellt ein geringeres Übel dar als ein Andauern der Schwierigkeiten».
Kein drittes Konjunkturpaket, aber Zinsen runter
Ein drittes Konjunkturprogramm in Deutschland lehnen die Institute ab. Immerhin sehen sie auch «Aufwärtsrisiken» für die deutsche Konjunktur. Falls die internationale Bankenkrise rasch gelöst werde und die Kreditvergabe wieder funktioniere, würde die expansive Geldpolitik rasch wirken. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte erheblich gemildert werden. Angesichts der Tiefe des konjunkturellen Einbruchs und der niedrigen Inflation im Euroraum sollte die Europäische Zentralbank (EZB) nach Einschätzung der Forscher ihren Leitzins weiter von derzeit 1,25 Prozent auf 0,5 Prozent senken und auch unkonventionelle Maßnahmen ergreifen. «Wenn ein nachhaltiger Rückgang der Kreditvolumina nicht anders verhindert werden kann, sollte die EZB zu einer Politik der quantitativen Lockerung übergehen, also Unternehmens- und Staatsanleihen kaufen», raten die Institute. Zwar sei die Entscheidung, welche Anleihen erworben werden sollen politisch brisant. «Doch wenn die Wahl besteht, entweder Anleihen zu erwerben oder eine Deflation in Kauf zu nehmen, stellt ersteres das kleinere Übel dar.» (nz/dpa-AFX/AP)