Immer mehr Obdachlose

2012 waren es 284<TH>000. Der Grund sind steigende Mieten bei stagnierenden Löhnen. Sieben Prozent der Deutschen leben in überbelegten Wohnungen. In der EU sind es sogar 17 Prozent
von  Susanne Stephan

MÜNCHEN/BERLIN Die Hälfte des Einkommens nur für die Miete – dies trifft immer mehr Menschen, berichtet die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Die Zahlen, die sie gestern vorlegte, sind alarmierend: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Menschen ohne Wohnung auf 284000, ein Zuwachs von 15 Prozent gegenüber 2010.

Keine Besserung in Sicht. Thomas Specht, der Geschäftsführer des Verbandes, macht vor allem die steigenden Mieten für die schlechten Zahlen verantwortlich. Specht ist pessimistisch: Da sich der Wohnungsmarkt nicht schnell ändern lasse, sei es wahrscheinlich, dass auch in absehbarer Zukunft Menschen ihren Wohnung verlieren würden.

Zur Not auf den Zeltplatz. Die Bundesarbeitsgemeinschaft schätzt, dass mittlerweile 24000 Menschen in Deutschland auf der Straße lebten. Sie seien aber nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Viele Wohnungslose lebten in Notunterkünften, manche weichen sogar auf Campingplätze aus, berichtet Specht. Der Experte sagte, es gebe kein ausreichendes Angebot an preiswerten Wohnungen, insbesondere für Alleinstehende. Die Betroffenen hätten meist ein geringes Einkommen. In Deutschland öffne sich die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr – das verschlimmere das Problem. „Teilweise müssen Menschen in niedrigen Einkommensgruppen 60 Prozent des Einkommens für die Miete ausgeben“, sagte Specht. Akzeptabel seien allenfalls 30 Prozent.

Ein Raum pro Erwachsenem? Nicht überall. Der Wohnungsmangel wirkt sich auch auf den Raum aus, der Mietern zur Verfügung steht. Sieben Prozent der Bevölkerung leben in überbelegten Wohnungen, berichtet das Statistische Bundesamt. Als überbelegt gilt für die Statistiker eine Unterkunft, wenn sie bestimmten Mindestanforderungen nicht genügt. So sollte unter anderem jeder Person ab 18 Jahren beziehungsweise jedem Paar jeweils ein eigener Raum zur Verfügung stehen. Kinder unter zwölf Jahren dürfen höchstens zu zweit in einem Raum untergebracht sein.

Senioren würden von großen in kleine Wohnungen ziehen – wenn sie könnten. Gleichzeitig leben viele vor allem ältere Menschen in Wohnungen, die ihnen eigentlich zu groß sind. Dies berichtet das Pestel Institut. Oft sind es Menschen, deren Kinder ausgezogen und deren Ehepartner gestorben sind. Sie würden gerne die große alte Wohnung gegen eine kleinere umtauschen – wenn sie denn eine fänden.

Senioren zögen im Verteilungskampf um bezahlbaren Wohnraum oft den Kürzeren, berichtet Beate Marschall vom Mieterverein München. Möglicherweise hätten die Vermieter Angst, gebrechliche Senioren nie wieder loszuwerden, mutmaßt sie. Dringend wird das Problem, wenn saniert wird, die Miete steigt – und dann für den alten Menschen nicht mehr zu tragen . Schätzungsweise 150 ältere Mitglieder des Mietervereins, die in großen Wohnungen leben, seien davon pro Jahr betroffen, sagt Marschall. Auch ohne Sanierung wird ein Umzug oft teuer: Manche alte Menschen haben jahrzehnte alte Mietverträge mit vergleichsweise günstigen Konditionen. Bei Neuvermietungen werden dagegen satte Preise verlangt. Die Stadt würde gerne helfen, kann es aber nicht. „Wir sind selbst auf der Suche nach kleinen Wohnungen für Menschen, die diese noch dringender nötig haben“, sagt Andreas Danassy vom Sozialreferat. sun

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