Hinter den Zahlen
Eine neue Qualität von Gewalt - bei sinkender Quantität: Georg Thanscheidt, stellvertretender Chefredakteur, über die Kriminalitätsstatistik
Es ist eine gute Nachricht: Die Kriminalität in Bayern ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Besonders stark ist der Rückgang 2009 in München ausgefallen, seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Straftaten hier sogar um mehr als zehn Prozent gefallen.
Und doch blicken wir mit Unbehagen auf diese amtliche Statistik, misstrauen der frohen Botschaft – weil sie im Widerspruch steht, mit dem was wir erleben und erfahren haben: Es war doch im vergangenen Jahr, als Dominik Brunner auf dem S-Bahnhof in Solln totgeschlagen wurde?! Es war doch ebenfalls im vergangenen Jahr, als Schweizer Schüler am Sendlinger Tor Amok liefen?!
Diese Taten haben unser Bild vom kriminellen Geschehen des Vorjahres geprägt – und es war ein Bild von nie dagewesener Brutalität, von jugendlichen Tätern, die vor nichts mehr zurückschrecken. Auch die Medien, auch die Abendzeitung haben dieses Bild entworfen. Und es war ein korrektes, ein realitätsgetreues Bild. Denn auf der einen Seite stehen die Attacken in Solln und am Sendlinger Tor, in denen sich eine neue, eine absolut menschenverachtende „Qualität“ von Gewalt zeigt. Auf der anderen Seite steht die Quantität – die Zahl der Straftaten, wie sie in der Statistik des Innenministeriums festgehalten wird. Diese ist rückläufig.
Es gibt also kein „immer mehr“ im Bereich der Jugendkriminalität – und auch nicht bei vielen anderen Delikten. Aber es gibt ein „immer schlimmer“ in vielen dieser Kriminalitätsbereiche. Das Entsetzen gerade über diese Straftaten prägt die Wahrnehmung stärker, als Zahlen es je könnten.
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