Handy in der U-Bahn: Braucht’s das?
Die AZ-Redakteure Katharina Rieger und Volker Isfort über Sinn und Unsinn des Handy- Empfangs in der Münchner U-Bahn.
Pro Außer AZ-Lesen gibt es für mich in öffentlichen Verkehrsmitteln nur ein Vergnügen: Leute belauschen. Die Tochter, die ihrer Mama den Liebeskummer erzählt. Die Teenie- Schönheit, die einen nervigen Verehrer am Handy abserviert – und danachmit ihrer Freundin über andere Jungs redet.
Gerade die Schmankerl mit dem Handy gab’s bisher leider nicht in der U-Bahn zu hören. Nörgler sagen jetzt: Was geht mich der Privatkäse wildfremder Leute an?
Nun, im ICE ist man der „Jetzt-bin-ichbald- in-Heilbronn“-Folter stundenlang ausgesetzt, doch imMVV geht’s nur um ein paar Stationen, in denen manche Mitfahrer hörspielreife Statements abliefern – und dabei viel über ihr Leben verraten. Außerdem werden sich ein paar Leute durch den Handyempfang in der U-Bahn sicherer fühlen. Sei es ihnen gegönnt.
Sollte das Gequatsche aber dochmal zu doof, zu nervig und zu banal sein, gibt es ja immer noch die Abendzeitung, hinter der man sich bestens verstecken kann.
Kontra Wenn Mobiltelefone die Kriminalitätsrate wirklich senken würden, wäre die Polizei ja seit Ewigkeiten arbeitslos. Mit genau diesem Argument aber wurde nun eine letzte – wohltuende – Kommunikationslücke geschlossen: die Münchner U-Bahn ist nun mobilfunkfähig.
Das nervige Flatrate-Gequatsche hält auch unterirdisch Einzug, und tagträumende Fahrgäste werden nun permanent von den menschlichen Lautsprechern auf dem Nachbarsitz daran erinnert, wo sie sind: „Du Schatz, ich bin gerade in der U-Bahn.“
Es gehört zu den großen Rätseln der Moderne, warum Menschen sich nur noch redend fortbewegen können. Sogar Bergwanderer trifft man immer häufiger freisprechend und schnaufend in freier Natur.
Früher konnte man längere S-oder U-Bahnfahrten noch lesend nutzen, heute wirdman ungewollt über Kochrezepte, Liebeskummer, Freizeitplanungen informiert – vor allen Dingen aber über die große Leere zwischen den Ohren.