Griff in die Tasche der Sparer
NIKOSIA Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Geldautomaten, wollen 100 Euro abheben. Doch der Automat spuckt nichts aus, zeigt nur einen lapidaren Hinweis auf dem Bildschirm. Und die Kontostandsanzeige weist nicht Ihr angespartes Geld aus, sondern 6,8 oder 9,9 Prozent weniger. Ein erschreckendes Szenario? Es ist genau die Situation, in der sich die zypriotischen Sparer befinden.
Merkel beruhigt deutsche Sparer. In Deutschland sind Sparguthaben sicher, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern mitteilen– auf Zypern wird dagegen der GAU, der Größte Anzunehmende Unfall in der Eurokrise, durchgespielt. Dort müssen die kleinen Sparer für die Fehler und Vergehen der großen Anleger bluten, direkt, ohne Umwege über den Staatshaushalt oder irgendwelche Rettungsfonds.
Enteignung à la Nikosia. Wer bis zu 100000 Euro auf der hohen Kante hat, dem werden laut der bisherigen Beschlusslage 6,75 Prozent abgezogen, bei Guthaben über 100000 Euro 9,9 Prozent. Enteignung à la Nikosia – eine sehr spezielle Spielart der europäischen Einlagensicherung, die eigentlich die Sparer bei Bankpleiten schützen soll. Und ein Menetekel für spanische Sparer, deren Banken mit EU-Milliarden gestützt werden müssen.
Eine „bedrückende Entscheidung“, sagte auch Zyperns Präsident Nikos Anastasiades und versprach, nachzuverhandeln. Noch muss das zyprische Parlament über die Zwangsabgabe und das Rettungspaket abstimmen. Jetzt wird gefeilscht – was ist den Bürgern zuzumuten? Um die 17 Milliarden Euro braucht das Land, davon sollen rund zehn Milliarden von der EU kommen, eine Milliarde vom Internationalen Währungsfonds und der Rest von den Anlegern.
Ausgesprochen anlegerfreundliche zu russischen Mafiosi. Um die Entscheidung sind die Parlamentarier nicht zu beneiden. Zypern steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten. Die Bankenbranche hängt am Tropf des Pleitiers Griechenland. Und die internationale Gemeinschaft ist schlecht auf Zypern zu sprechen, nachdem sich das Land über Jahrzehnte hinweg als Fluchthafen für Schwarzgeld anbot. Russische Firmen haben in Zypern geschätzt rund 19 Milliarden Dollar (rund 14,7 Milliarden Euro) angelegt. Über Jahre hinweg galt der Inselstaat für Russen wegen niedriger Steuern und vergleichsweise laxer Bankengesetze als ausgesprochen investorenfreundlich.
Diesem Land aus der Patsche helfen? Da sollen doch erst einmal die Anleger bluten, finden viele Entscheidungsträger auf EU-Ebene. Schlecht für Zypern ist auch, dass das Land nur theoretisch systemrelevant ist, dass seine Pleite den Euro-Raum wohl nicht auf den Kopf stellen würde. Das Bruttoinlandsprodukt Zyperns wird heuer auf geschätzte 17,8 Milliarden Euro kommen. Das sind ganze 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Zum Vergleich: Der Haushalt der Stadt Berlin umfasst rund 22 Milliarden Euro. Ginge Zypern pleite, müsste kaum ein Beschäftigter in München um seinen Lohn oder seine Ersparnisse bangen, könnten deutsche Politiker argumentieren und eine Rettung ablehnen.
Wer trotzdem EU-Hilfen für die Insel verlangt, muss schon grundsätzlich werden, so wie EU-Währungskommissar Olli Rehn. Eine Staatspleite könnte die gesamte Eurozone gefährden, sagt er. Mit anderen Worten: Entlässt die Gemeinschaft ein Land, und sei es auch so klein wie Zypern, aus dem Währungsverbund, könnten Anleger testen, wie stabil der Zusammenhalt ist, wenn Portugal oder Spanien ins Wanken kommen.
Anastasiades will nachverhandeln. Diesen Argumenten können Politiker folgen, müssen es aber nicht. Entsprechend schwierig ist die Verhandlungsposition von Zyperns Regierungschef Nikos Anastasiades. Unklar ist, ob er selbst die Idee für die Zwangsabgabe ins Spiel brachte oder ob er dazu gezwungen wurde. „Sie versuchen, uns zu zerstören“, soll er gesagt haben – mit „sie“ sollen die internationalen Geldgeber gemeint sein. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble behauptet dagegen, Anastasiades selbst habe sich geweigert, die wirklich dicken Fische unter den Anlegern auf Zypern mit hohen Abgaben zu belasten, um kleine Sparer zu schonen.
Tatsächlich wirkt die 9,9 Prozent-Regelung wie ein Preisschild vom Wühltisch – als wolle Anastasiades die russischen Schwarzgeld-Flüchtlinge nicht allzusehr verschrecken.
Gestern gab es in Nikosia neue Gerüchte und Meldungen: Wie das zyprische Fernsehen erfuhr, sollte die Zwangsabgabe für Geldeinlagen bis 100000 Euro von 6,75 auf 3 Prozent reduziert werden. Inhaber von Konten mit mehr als 500 000 Euro sollen im Gegenzug mit 15 Prozent und damit deutlich stärker belastet werden. Damit keine Gelder außer Landes gebracht werden, blieben die Banken weiter geschlossen. Sie werden vermutlich bis Donnerstag nicht wieder öffnen. Die internationalen Anleger sehen währenddessen skeptisch auf das zyprische Spektakel. Dem Euro tat dies nicht gut: Die Gemeinschaftswährung fiel unter die Marke von 1,29 Dollar. Das ist der tiefste Stand seit Dezember vergangenen Jahres. sun