Geißlers Verdienst
Der AZ-Chefredakteur Arno Makowsky über die Schlichtung beim Streit um Stuttgart 21
Du hast keine Chance, aber nutze sie – an dieses Bonmot von Herbert Achternbusch hat sich Heiner Geißler gehalten. Was sollte bei dieser „Schlichtung“ schon herauskommen: Ein halber neuer Bahnhof? Ein Wohlfühl-Biotop für den Juchtenkäfer statt eines neuen Stadtteils? Nein, beim Projekt Stuttgart 21 konnte es nur ein Entweder-Oder geben. Neuer Bahnhof oder kein neuer Bahnhof. Angesichts dieser Aussichtslosigkeit ist dem Schlichter Geißler viel gelungen: Er hat nicht weniger als eine neue demokratische Kultur etabliert. Das bleibt sein Verdienst, auch wenn sich die gegnerischen Parteien am Ende genauso unversöhnlich gegenüberstehen wie am Anfang.
Den Knoten zu durchschlagen, also zu erwarten, dass einer von beiden aufgibt, war zu viel verlangt. Die Entfremdung zwischen Politik und Bürgern – die eigentliche Ursache für den Konflikt – war viel zu weit vorangeschritten. Genau an diesem Punkt setzte Geißler an. Er kritisierte die katastrophale Kommunikation, die den Eindruck der Mauschelei vermitteln musste. Er forderte klare Worte statt Experten-Chinesisch. Nur, leider, viel zu spät.
Eine der Hauptursachen für das Desaster liegt in den viel zu langsamen Genehmigungsverfahren für solche Projekte. Wie sollen Bürger etwas richtig finden, was beschlossen wurde, als sie noch Kinder waren? Kein Wunder, dass sie von der viel beschworenen demokratischen Legitimation wenig halten. Gegen diese drohende Krise der Demokratie hat Geißler erfolgreich gekämpft.
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