Gehen in Bayern die Lichter aus?
München - Die bayerische Staatsregierung setzt weiter auf Atom-Energie und baut die Stromnetze nicht aus – schon bald droht deshalb der Kollaps. Die AZ klärt alle wichtigen Fragen zum Thema Energie-System.
Es klingt alles so einfach: Deutschland steigt aus der Atomenergie aus, dafür wird der Anteil der Öko-Energie erhöht. Alle freuen sich: die Umwelt, die Politiker, die Manager der Stromkonzerne. Und natürlich die Verbraucher, die sauberen Strom schätzen. So schön hört sich Deutschlands Energie-Märchen an – und genauso unrealistisch ist es.
Durch den Ausstieg aus der Atomenergie entsteht in Bayern eine riesige Energielücke. Der Freistaat muss Strom importieren. Doch der Strom-Transport über große Entfernungen überlastet das Stromnetz, es ist einfach viel zu wenig ausgebaut. Die Folge: Stromausfälle. Und die Politiker? Sie haben den Atomausstieg zwar beschlossen – aber sie haben sich kaum überlegt, wie man das deutsche Energie-System umstellt. Die AZ klärt alle wichtigen Fragen.
Was bedeutet der Atomausstieg für Bayern?
Gehen die fünf Atommeiler bis 2021 wie geplant vom Netz, entsteht eine Energie-Lücke von 6125 Megawatt – das sind nach Zahlen des Verbands der bayerischen Elektrizitätswirtschaft zwei Drittel der gesamten Energie, die in Bayern heute produziert wird.
Wie soll diese Lücke gefüllt werden?
Wenn es nach Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) geht, sollen Energieträger wie Wasserkraft, Wind, Solar und Biogas einen größeren Anteil am Energiemix bekommen. 2050 soll der Anteil der Öko-Energie am gesamten Energieverbrauch 50 Prozent betragen.
Welche Rolle kommt der Windenergie zu?
Eine sehr große: Schon heute wird die Hälfte der erneuerbaren Energie mit Windrädern produziert. Nach Angaben von Ralf Bischof vom Bundesverband Windenergie wird der Anteil in den nächsten Jahren zunehmen. Bayerns Problem: Weil im Freistaat nicht so viel Wind wie in Norddeutschland weht, stehen von den 19000 deutschen Windkraftanlagen nur 343 in Bayern. Die Folge: Bayern muss den Wind-Strom aus dem Norden importieren, um auf den vorgeschriebenen Anteil der Öko-Energie zu kommen.
Wie steht es um das Stromnetz?
Es ist für den Energiemix der Zukunft nicht geeignet. Die Deutsche Energieagentur (Dena) rechnet vor: Allein der Transport der Windenergie erfordert 850 Kilometer neue Starkstromleitungen, 400 Kilometer der vorhandenen Netze müssten verstärkt werden. Doch das ist bislang kaum geschehen.
Was passiert, wenn das Stromnetz nicht ausgebaut wird?
Die Gefahr von Stromausfällen steigt deutlich, sagt Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur. Grund: Die lange Reise der Elektronen überlastet die Leitungen total.
Woran liegt der mangelnde Ausbau?
„Die Genehmigungsverfahren für Leitungen dauern viel zu lange – manchmal bis zu zehn Jahre“, kritisiert Joëlle Bouillon vom Energiekonzern Eon. Hinzu kommt, dass geplante Hochspannungsleitungen Proteste bei Anwohnern hervorrufen.
Gibt es einen Fall in Bayern?
Ja, die 380-Kilovolt-Leitung, die von Halle in Sachsen-Anhalt ins unterfränkische Schweinfurt führt. „Das Stromnetz reicht aus für den deutschen Bedarf“, sagt Annette Martin von der Interessensgemeinschaft „Achtung Hochspannung“ zur AZ. Die Initiative versucht seit Jahren, das Projekt zu verhindern. Dena-Chef Stephan Kohler ist deshalb sauer: „Wer Klimaschutz und Netzsicherheit will, darf beim Leitungsbau keine Zeit verlieren“, schimpft er.
Wie tut Bayerns Staatsregierung?
Im Plan des Wirtschaftsministeriums stehen einige neue Erdgas-Kraftwerke. Doch sie füllen nicht einmal die Hälfte der Energielücke. Bayern muss also importieren. Doch CSU-Wirtschaftsministerin Emilia Müller will nicht. Das Stromnetz ausbauen will sie auch nicht: „Der notwendige Netzausbau würde nicht nur viel Geld kosten, sondern auch unser Landschaftsbild beeinträchtigen“, sagte Müller zur AZ. Frau Ministerin schaltet lieber auf stur – und setzt weiter auf Atomstrom, obwohl auch die CSU laut Koalitionsvertrag mit der SPD am Ausstieg festhält. Müllers Meinung: „Wir können es uns derzeit nicht leisten, aus ideologischen Gründen auf diesen Energieträger zu verzichten.“
Wie geht es jetzt weiter?
Dass bald der große Stromaustausch losgeht, kann auch die bayerische Staatsregierung nicht verhindern. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) will bald ein Gesetz vorlegen, das den Bau wichtiger Hochspannungsleitungen beschleunigt. Der Windenergie-Verband hat auch eine Lösung für das Energie-Problem: Bayern soll mehr Windenergie erzeugen, fordert Verbandschef Bischof. Lediglich 0,03 Prozent der Fläche im Freistaat würden derzeit für Windenergie genutzt, obwohl der Norden Bayerns für Windkraftanlagen geeignet sei. Bischof findet: „Ein Prozent der Fläche ist geeignet. Und das reicht.“
Volker ter Haseborg
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