Gefährliches Lohngefälle
MÜNCHEN - Eine Studie zeigt: In Deutschland wächst die Lohnkluft rasant - eine fatale Entwicklung. Denn das verstärkt nicht nur die Ungleichheit. Es gefährdet auch das wirtschaftliche Wachstum.
Die Topverdiener legen Jahr für Jahr beim Gehalt zu. Die Geringverdiener haben immer weniger in der Tasche. Diesen Trend gibt es in Deutschland schon länger. Nun bestätigt eine neue Studie: Die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen wächst in Deutschland so schnell wie in keinem anderen westlichen Staat.
Das stellt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem neuesten weltweiten Lohnreport fest. Die AZ fasst die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammen.
Wie steht Deutschland beim Lohngefälle da? Verglichen mit anderen Ländern: schlecht. Die Schere zwischen den Löhnen der am besten verdienenden Arbeitnehmer und den Beschäftigten am unteren Ende der Lohnskala ist zwischen 2001 und 2007 deutlich auseinandergegangen. Die Lohnungleichheit bei uns ist größer als etwa in Frankreich oder sogar Tschechien. Das geringste Lohngefälle weisen Länder wie die Schweiz, Norwegen oder Schweden auf.
Weiteres Ergebnis: Nach Abzug der Inflation blieb den Beschäftigten in Deutschland in den letzten Jahren kaum etwas in der Tasche. Im Schnitt sind die Reallöhne seit 2001 jährlich gerademal um gut ein halbes Prozent gestiegen. Auch hier stehen viele Länder besser da (siehe Tabelle).
Was sind die Gründe für die Lohnungleichheit? „Hauptursache ist die deutliche Zunahme des Niedriglohnsektors in Deutschland in den vergangenen Jahren“, sagt Klaus Schäfer, Verteilungsexperte bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Minijobs, Teilzeitstellen und die Ausweitung der oft relativ schlecht bezahlten Zeitarbeit hätten die Lohnkluft in Deutschland vergrößert. „In Ländern wie Frankreich etwa gibt es solche prekären Beschäftigungsverhältnisse nicht in dem Ausmaß“, so Schäfer.
Hinzu kommt: Firmenchefs und Manager haben ihre Gehälter in den letzten Jahren zum Teil drastisch gesteigert. Auch das reißt die Einkommenslücke weiter auf.
Wie geht die Entwicklung weiter? Zumindest was Lohnsteigerungen im nächsten Jahr angeht, macht die ILO-Studie wenig Hoffnung. Für 2009 prognostiziert der Bericht „schmerzhafte Einschnitte“ bei den Reallöhnen. In den Industrieländern sollen die Löhne wegen der Wirtschaftsflaute sogar sinken. Auch Experte Schäfer glaubt, dass für deutsche Arbeitnehmer unterm Strich nächstes Jahr ein Minus stehen könnte.
Was sind die Folgen der Lohnkluft? Die ILO warnt vor zunehmenden Spannungen zwischen Gut- und Geringverdienern in den Industrieländern. Böckler-Experte Schäfer sieht darin vor allem ein Problem: Immer mehr Menschen leiden unter Armut, obwohl sie arbeiten. „Das wirkt sich vor allem auch auf die Kinder in ärmeren Familien aus“, sagt er. Ihre Zukunftschancen werden schlechter. In Zeiten sinkender Geburtenraten eine fatale Entwicklung: „Langfristig schaden wir damit unserer eigenen Wirtschaft.“
aja
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