Furcht vor Hunderttausenden Zuwanderern
BERLIN Das Duisburger „Problemhaus“ erreichte heuer Bekanntheit weit über die Grenzen der Ruhrgebiets-Stadt hinaus. In einem überbelegten Wohnhaus leben überwiegend Migranten aus Rumänien – und immer wieder schreckten Gräuel-Berichte die Duisburger auf. Familien, die sich illegal durchschlagen, fünfjährige Kinder, die von Erwachsenen zum Klauen geschickt werden – die Zustände gaben Wasser auf die Mühlen aller, die vor der Freizügigkeit innerhalb der EU warnen.
Bulgaren und Rumänen brauchen ab Januar keine Arbeitserlaubnis mehr, um nach Deutschland zu kommen. Noch ist unklar, wie viele das sein werden. Experten erwarten keine Völkerwanderung, wohl aber Zuzug im sechsstelligen Bereich. Und klar ist, dass wirtschaftlich starke Regionen wie München viele Zuwanderer anlocken werden.
Bulgarien und Rumänien sind seit 2007 EU-Mitglieder. Seitdem steigt in Deutschland kontinuierlich der Zuzug aus diesen Ländern. Im September arbeiteten schon 160000 Bulgaren und Rumänen in Deutschland, 126000 davon in sozialversicherten Jobs. Von 2014 an werden jährlich zwischen 100000 und 180000 Zuwanderer aus den beiden Ländern erwartet, schätzen die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.
Die Zugewanderten aus den beiden Ländern sind bislang gut qualifiziert, finden aber häufig Jobs nur im weniger attraktiven Dienstleistungssektor, in der Gastronomie zum Beispiel oder als Erntehelfer. 25 Prozent haben nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Hochschulabschluss, 40 Prozent eine Berufsausbildung, 35 Prozent keine Qualifikation. Hartz-IV-Leistungen – also Sozialhilfe – beantragt haben bisher knapp 40000 Menschen mit bulgarischem oder rumänischem Pass. Das entspricht einer Verdoppelung in zwei Jahren, ist aber noch kein Massenphänomen.
Markus Ferber, den Vorsitzende der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament, treibt trotzdem die Sorge um, dass die Zuwanderer die deutschen Sozialkassen plündern könnten. „Das Problem ist sehr gravierend, weil es sich hier um Menschen handelt, die einen Rechtsanspruch für sich in Anspruch nehmen, den sie nicht haben, der ihnen aber leider auch zum Teil von deutschen Gerichten gewährt wird“, sagte er am Freitag im Deutschlandradio. Hintergrund seiner Bedenken sind unterschiedliche Urteile deutscher Gerichte zum Anspruch der Zuwanderer auf Hartz IV und Sozialhilfe.
Für Ferber ist klar: „Jeder Bürger der Europäischen Union hat das Recht, 90 Tage in einem anderen Land sich aufzuhalten, um einen Job zu suchen. Wenn er in diesen 90 Tagen keinen Job findet, muss er wieder zurückgehen. Er hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen.“
Beim Arbeitgeberverband stößt Ferber mit seinen Bedenken auf wenig Zustimmung. Die Unternehmen plagen Nachwuchssorgen – da kommen die Zuwanderer aus Osteuropa gerade recht. Einen Grund zur Panikmache gebe es nicht, heißt es bei dem Verband: „Übertriebene Befürchtungen über massenhafte Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ habe es schon gegeben, als die Grenzen für Tschechen und Polen geöffnet wurden. „Nichts davon hat sich bewahrheitet.“
Allerdings bedauern die Firmen heute, dass damals qualifizierte und dringend benötigte Fachkräfte einen Bogen um Deutschland machten. Viele Fachkräfte gingen statt nach Deutschland nach England, Irland und Holland. „Wir haben damals eine Chance vertan, das darf sich nicht wiederholen.“sun
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