Erfolgreich eingewandert

Die Zahl der Einwanderer nach Deutschland ist auf dem höchsten Stand seit 1995. Für die Sozialsysteme ist das ein Gewinn. Aber wie schaffen es Migranten, hier Erfolg zu haben? Die AZ hat nachgefragt.
MÜNCHEN Es kommen so viele Zuwanderer nach Deutschland wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Laut Statistischem Bundesamt sind im Jahr 2012 rund 370000 mehr Menschen eingewandert als fortgezogen - die höchste Zahl seit 1995. Am Thema Migration scheiden sich die Geister. Oft wird Zuwanderung als Belastung empfunden - doch die Realität ist eine andere.
Liegen Zuwanderer dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche? Nein. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) profitiert der Sozialstaat von Migranten. Kindergeld und Hartz IV erhalten sie zwar öfter, sorgen aber bei Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung für ein Plus. Unterm Strich zahlen sie mehr in die Sozialkassen ein, als sie ausgezahlt bekommen - pro Zuwanderer sind das im Jahr 2000 Euro Überschuss. Die Zahl bezieht sich auf Mitte der 2000er Jahre und dürfte sich laut Studie noch erhöhen.
Herbert Brückner, Wirtschaftsprofessor an der Uni Bamberg und Autor der Studie, belegt, dass sich vor allem die Qualifikation der Migranten deutlich geändert hat. 43 Prozent zwischen 15 und 65 Jahren haben einen Hochschul-, Meister- oder Technikerabschluss - bei den Deutschen sind es 26 Prozent. Es gibt sie also: erfolgreiche Migranten. Und es werden immer mehr - nur ist das in der Wahrnehmung der Gesellschaft nicht so präsent.
Zeit, mit überholten Klischees aufzuräumen. Die AZ hat mit drei Migranten verschiedener Generationen gesprochen, die in Deutschland erfolgreich ihren Weg gehen: Ayca Yalcin erzählt von ihren Kindern, Ahmet Sinoplu von seinem sozialen Engagement und Marcela Ullmann von ihrem Weg zur Journalistin und Autorin.
„Wir wissen die Bemühungen zu schätzen“
Die Kinder sprechen untereinander deutsch, mit der Mutter Türkisch, mit dem Vater Griechisch und die Eltern untereinander Englisch – Alltag bei Ayca Yalcin (41) und ihrer Familie. Yalcin ist mit einem Griechen verheiratet, der in Kanada geboren und aufgewachsen ist. Beide sind Akademiker. Ihre Zwillinge Ege und Marie (10) kamen in Deutschland zur Welt.
Kulturelle Vielfalt als Reichtum zu betrachten, war Teil der Erziehung: „Ich habe meinen Kindern immer gesagt, dass es um den Menschen geht. Als Eltern wollten wir sie nicht in irgendwelche Schubladen zwängen." In der 1. Klasse kam dann ihr Sohn nach Hause und fragte sie, ob er ein Ausländer sei, weil er darauf angesprochen worden war. Er hätte das vorher gar nicht gekannt. Die Zwillinge schafften beide den Übertritt ins Gymnasium. Die Mutter sagt: „Das wäre ohne mein Engagement nicht möglich gewesen. Zwillinge zu erziehen, ist an sich schon anstrengend, beide haben unterschiedliche Stärken und Schwäche, auch schulisch.“
Um neben den drei Muttersprachen Deutsch nicht zu vernachlässigen, setzte Yalcin auf private Sprachförderung. Sie brachte die Kinder in Feriencamps, zu Spiel- und Sportgruppen und regte den Kontakt zu deutschen Freunden und Nachbarn an. In der Grundschule habe man den Eltern gesagt, dass es Migranten „nicht empfohlen“ wird, auf das Gymnasium zu gehen. Zur Veranschaulichung sei beim Infotag eine Treppe aufgezeichnet worden: Akademiker-Kinder gehen Stufe für Stufe hoch zum Gymnasium. Kinder mit Migrationshintergrund würden versuchen hochzuspringen - quasi unmöglich. Yalcin sagt:
„Man wird als Migrant generell unterschätzt. Dabei sind Migranten nicht weniger intelligent oder fortschrittlich.“ Sehr positiv sei die Zeit der Kinder im Kindergarten gewesen: Die bunte Mischung aus vielen Nationalitäten sei spielerisch genutzt worden, etwa um „Guten Morgen“ in verschiedenen Sprachen zu sagen oder gemeinsam zu singen. „Es war eine wunderbare Zeit. Wir sehen auch die Bemühungen in Deutschland. Und wir wissen das wirklich zu schätzen", schließt Yalcin.
„Die Welt steht dir offen“
„Das Eintreten für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit gehört zu meinem Wesen“, sagt Sozialpädagoge Ahmet Sinoplu. Der in Köln geborene Türke hat sich bereits im Studium selbstständig gemacht und ist als Leiter internationaler Begegnungsprojekte und Anti-Rassismus-Trainer in ganz Europa unterwegs.
Der 30-Jährige hat sich kontinuierlich weitergebildet, etwa als Fachkraft für internationale Jugendarbeit oder Anti-Gewalt-Trainer. Er nimmt an EU–Mobilitätsprogrammen teil und entwirft auch selber Projekte. Er entwickelt den Inhalt, organisiert, kümmert sich um die finanzielle Förderung. Im Projekt selbst übernimmt er die Moderation und arbeitet mit den Jugendlichen nach verschiedenen pädagogischen Ansätzen, wie z.B. zur Stärkung und Entwicklung von eigenen Ressourcen und die aktive Teilhabe an der Gesellschaft.
Als großartige Erfahrung beschreibt er ein Begegnungsprojekt mit Fachkräften aus den USA und Frankreich, in dem über die Integrationspolitik und Sozialsysteme in diesen Ländern diskutiert wurde. Sinoplu hat mit 13 Jahren angefangen, für ein Altenheim zu arbeiten und sich in Jugendzentren zu engagieren. Auch sensibilisiert durch eigene diskriminierende Erfahrungen, engagiert er sich gegen Ausgrenzung: „Das habe ich selber in meiner Biografie erlebt, dass ich einfach mehr tun muss, um anerkannt zu werden. Ich war der Beste in der Deutschklausur im Abi und der Lehrer sagte zur Klasse: ,Schämt euch. Das kann doch nicht sein, dass ein Türke besser ist als ihr Deutschen.’
Er hätte mir genau so gut auch gratulieren können." Eine feste Stelle nach dem Studium hatte er eigentlich bereits. Doch er wählte Freiheit statt Sicherheit: "Mir geht es um Selbstverwirklichung. Ich habe früh entdeckt, dass ich die Dinge tun kann, die mich inhaltlich interessieren und persönlich herausfordern." Sinoplu ist überzeugt: „Die Welt steht dir offen, aber dir wird nichts geschenkt. Man muss in Bewegung bleiben, damit sich was bewegt.“
„Folge dem Erfolg“
Sie wollte nur einige Monate bleiben. Marcela Ullmann war mitten im Studium der Zeitungswissenschaften in Prag, als sie 1968 für eine Hospitanz nach Deutschland kam. Dann wurde in der Tschechoslowakei der Prager Frühling niedergeschlagen. Zeitgleich bekam sie das Angebot für ein Stipendium in Nürnberg. „Nicht ohne Zögern“ sei sie dieser Einladung gefolgt, so Ullmann.„Aber ich habe mich relativ schnell zuhause gefühlt. Ich mag den bayrischen Humor und das Temperament. Es ähnelt unserem."
An der Uni Nürnberg-Erlangen studierte sie Philosophie und schloss später mit einer Promotion in München ab. Erste große Herausforderung: die Sprache. Aber das empfand sie als „positiven Stress“, weil sie schnell auf das sprachliche Niveau der Kommilitonen kommen wollte. Viele Menschen würden sprachliche Defizite mit dem Mangel an Intelligenz verbinden, doch das müsse man eben mit Humor sehen, so Ullmann.
Dann wurde sie schwanger, konnte deswegen eine Stelle als Wissenschaftlerin nicht annehmen. Sie studierte weiter, sechs Semester Medizin. Die Zeit als später alleinerziehende Mutter bezeichnet sie als die „härteste Zeit“ ihres Lebens: „Welche Chancen hat man, wenn man alleinerziehende Mutter ist und zudem alleine im Ausland? Ich konnte weder eine Teilzeitstelle noch eine Unterbringungsmöglichkeit für meine Tochter finden.“
Also arbeitete sie vormittags als freiberufliche Medizinjournalistin, um nachmittags für ihre Tochter da zu sein. Ullmann hat als freie Journalistin Erfolg, spezialisierte sich auf Naturmedizin. Dann ergriff sie die Gelegenheit für etwas Größeres: Gemeinsam mit einem Kollegen gründete sie mehrere Zeitschriften und organisierte Fachtagungen zur Naturmedizin, schrieb Bücher.
Ullmann resümiert: „Man sollte keinen unnötigen Respekt vor eingefahren Denkweisen haben und neue Wege beschreiten.“ Auch sei es wichtig, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, denn „wie man in den Wald ruft, so hallt es auch zurück. Und das Allerwichtigste im Beruf ist: Folge dem Erfolg.“