Einkommen, Bildung, Steuern: Wo steht Deutschland?
In der Fußball-EM steht Deutschland schon im Halbfinale. Ziel: Fußball-Olymp. Doch wie schaut’s sonst so aus mit dem Standort Deutschland? In der Euro-Krise gilt unser Land häufig als Vorbild, genervte Griechen, Italiener und Franzosen müssen sich ständig vor Augen führen lassen, wie viel besser wir dastehen. Aber stimmt das? Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat sich mehrere Faktoren angeschaut und in den weltweiten Vergleich gesetzt. Ergebnis: Oft ist Deutschland nur Mittelmaß. Die AZ präsentiert die teilweise formschwache National-Elf des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Arbeitskosten: In Deutschland kostet eine Arbeitsstunde für Arbeitgeber im produzierenden Gewerbe 34,47 Euro. Das setzt sich aus einem Stundenlohn von 19,75 Euro zusammen, plus Personalzusatzkosten von 14,72 Euro. Nimmt man nur Westdeutschland, kommt man auf 36,28 Euro Arbeitskosten und einen Stundenlohn von 20,67 Euro. Damit liegt ganz Deutschland bei den Arbeitskosten eher im oberen Drittel der Skala. Noch teurer ist die Arbeit in Norwegen (49,54 Euro gesamt, 31,98 Euro Stundenlohn) oder in der Schweiz (40,87 Euro/26,12 Euro). Außerdem vor uns: Belgien, Schweden, Dänemark, und auch Frankreich. Sehr niedrig sind die Arbeitskosten in Osteuropa: Zum Beispiel in der Slowakei (8 Euro, davon 4,68 Euro Stundenlohn), in Ungarn (7,02 Euro/3,88 Euro) und in Polen (6,46 Euro/4,35 Euro).
Lohnstückkosten: Die Produktivität in Deutschland ist zwar sehr hoch – aber durch die hohen Arbeitskosten wird dieser Vorteil wieder zunichte gemacht, sagt das IW. Bei den Lohnstückkosten (den Arbeitskosten, die aufgewendet werden müssen, um eine bestimmte Gütereinheit herzustellen), liegen wir weit vorne. Das heißt: Nur Produkte aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Dänemark waren noch teurer als Produkte aus Deutschland. Demgegenüber genießen Wettbewerber wie USA und Japan Vorteile: Hier sind die Lohnstückkosten um ein Viertel geringer als bei uns.
Arbeitszeit: Wer arbeitet wie lange? Klar ist: Das Bild vom superfleißigen Deutschen stimmt nicht ganz. Deutschland liegt bei der Wochenarbeitszeit im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld: Nach 37,7 Stunden haben die Deutschen ihr Wochen-Arbeitspensum geschafft. Fast gleichauf liegen Belgien, Finnland und die Niederlande. Noch weniger wird in Frankreich gearbeitet: 35,6 Stunden. Eine 40-Stunden-Woche haben die Griechen, die Polen, die Luxemburger und die Ungarn. Auf fast 39 Stunden kommen Irland, Spanien und Portugal. Was die Arbeitszeit aufs Jahr gerechnet angeht, liegt Deutschland sogar auf dem drittletzten Platz: 1659 Stunden waren es im Jahr 2010. Noch mehr Freizeit haben nur die Dänen (1628 Stunden) und die Franzosen (1602 Stunden). Deutlich mehr (1856 Stunden) arbeiten die Polen, dicht gefolgt von Ungarn und Griechenland.
Einkommenssteuer: Vergleicht man die Höhe des Spitzensteuersatzes miteinander, liegt Deutschland im oberen Drittel. Bei uns gilt für Singles ein Spitzensteuersatz von 47,5 Prozent – er wird ab 250730 Euro fällig. Schon ab 52152 Euro zahlt man 44,3 Prozent Steuern. Das ist zwar fast so hoch wie der Spitzensteuersatz in den USA (43 Prozent). Allerdings zahlt man den dort auch erst ab 391543 Euro. Und in der Schweiz muss ein Alleinstehender den Spitzensatz von 40 Prozent erst ab rund 529000 Euro abführen.
Abgabenlast: Auch hier ist Deutschland ganz vorne: Im Jahr 2010 summierten sich Einkommenssteuer und alle Sozialabgaben auf knapp die Hälfte der beim Unternehmen anfallenden Arbeitskosten. Von 100 Euro anfallenden Arbeitskosten müssen für einen Durchschnittsverdiener 49,05 Euro abgeführt werden. Nur in Belgien (55,37 Euro) und Frankreich (49,27 Euro) ist die Belastung noch höher.
Welthandel: Das geflügelte Wort vom Exportweltmeister Deutschland stimmt nicht mehr. Vor zwei Jahren musste Deutschland den Titel an China abgeben, jetzt sind wir nur noch auf Platz drei, hinter den USA. Deutschland steuert 8,4 Prozent der weltweiten Ausfuhren bei, die USA 8,5 und China 10,5 Prozent.
Bevölkerung: Deutschland schrumpft und altert. Im Jahr 2050 sind wir nur noch 71 Millionen. Zulegen wird die Bevölkerung in Brasilien, in Indien, und in den USA. Indien ist das einzige Land, in dem der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren zunimmt – auf 65 Prozent im Jahr 2050. In Deutschland werden dann nur noch 56 Prozent erwerbsfähig sein.
Pro-Kopf-Einkommen: Deutschland gilt als reich – aber beim Pro-Kopf-Einkommen landen wir auf Platz zwölf der Industriestaaten, mit einem kaufkraftbereinigten Jahres-Brutto von 36.000 Dollar. Bedenklich ist, dass das Bruttoinlandsprodukt in den letzten zehn Jahren bei uns nur um 0,9 Prozent gewachsen ist. Die USA, Österreich oder die Briten verzeichnen Wachstumsraten zwischen 1 und 2, China von mehr als 10 Prozent.
Beschäftigung, Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit: Stets ist vom Job-Boom in Deutschland die Rede. Doch seit 2000 hat sich die Zahl der Erwerbstätigen nur um 3 Prozent auf 40,6 Millionen erhöht. Damit landen wir im unteren Drittel. In Kanada stieg die Zahl der Beschäftigten um gut 15,5 Prozent, in Luxemburg um 23 Prozent. Hinzu kommt, dass in Deutschland fast ein Drittel der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft quasi brach liegt: Nur 71 Prozent der Deutschen zwischen 15 und 64 Jahren arbeiten. Wieder nur Mittelfeld. Dazu kommt die Zahl der Arbeitslosen: Im Schnitt 3,2 Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet, das ergibt eine harmonisierte Quote von 7,1 Prozent. In den Niederlanden oder Norwegen liegt die Quote bei unter 5 Prozent. Was Deutschland besonders belastet: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Bei uns sind 47,4 Prozent der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Job. In Norwegen, Kanada oder Schweden sind es dagegen unter 20 Prozent.
Bildung der Bevölkerung: Deutschland, Land der Dichter und Denker? Von wegen! Deutschland hat eine eher mittelmäßige Akademikerquote. Während in den USA 31 Prozent der Bürger zwischen 25 und 64 Jahren einen Hochschulabschluss haben, sind es in Deutschland nur 17 Prozent. Bei den jüngeren Deutschen zwischen 25 und 34 liegt dieser Anteil kaum höher – bei 19 Prozent. Das ist genauso viel wie in Griechenland. Norwegen zieht mit satten 45 Prozent an uns vorbei. Außerdem sind bei uns die Ausbildungszeiten länger als im OECD-Mittel.
Staatsfinanzen: Das große Problem in Zeiten der Euro-Krise. Deutschland lag im Jahr 2011 mit Schulden von 87,3 Prozent des Bruttosozialprodukts im Mittelfeld – trotzdem ist die Verschuldung um 27,5 Prozentpunkte höher als vor zehn Jahren. Interessant: Spanien hat nur eine Verschuldung von 73,6 Prozent. Am schlimmsten steht Japan da, mit 212,7 Prozent. Direkt darauf folgt gleich Griechenland mit 157,1 Prozent.