Eine Verteilungsfrage
Von spätrömischer Dekadenz wagt keiner mehr zu reden: Frank Müller, AZ-Politikchef, über die neue Debatte um Hartz IV
Das Gute an der neuen Hartz-IV-Debatte: Bislang redet keiner über spätrömische Dekadenz und anstrengungslosen Wohlstand. Als Guido Westerwelle nach dem Hartz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in die Vollen ging, hoffte er noch, einen Verteilungskonflikt anzetteln und ihn auf Kosten des untersten Teils der Bevölkerung lösen zu können.
Inzwischen hat sich einiges geändert: Die FDP wurde selbst zur unter Druck stehenden Minderheit. Und über die Lösung des Hartz-IV-Problems wird nicht mehr hoch oben schwadroniert, wo die Luft dünn ist. Das Thema hat die Mühen der Ebene erreicht.
Das Grundproblem von Hartz IV wird auch Sozialministerin Ursula von der Leyen nicht lösen können: Die staatliche Grundsicherung soll zum Leben reichen – und gleichzeitig deutlich unter dem liegen, was Menschen erwirtschaften, die für sich selbst sorgen. Solange es in Deutschland das Nebeneinander von Nichtverdienern und Niedrigverdienern gibt, wird dieser Konflikt unlösbar bleiben. Also für immer.
Deswegen und wegen der angespannten Haushaltslage wird aus allen Träumen und Forderungen von deutlich erhöhten Sätzen nichts werden. Wichtiger ist ohnehin die Perspektive: Aus der Nothilfe Hartz IV darf kein Milieu werden, das neben den Eltern auch die Kinder prägt. Deswegen tut von der Leyen das Richtige, wenn sie Kinder direkt fördert, über Sport-, Schul- und Freizeitprogramme. Das ist eine Form der Hilfe, die nicht in allen Familien gut ankommen wird. Notwendig ist sie trotzdem.