Eine Frage der Ehre
Warum sich Papst Benedikt XVI. entschuldigen muss. AZ-Redakteur Michael Heinrich über den Umgang mit Missbrauchsfällen.
Selbstverständlich sollten alle Missbrauchsfälle – auch weit zurückliegende – möglichst lückenlos aufgeklärt werden. Natürlich muss die Frage juristischer Schuld geklärt werden, ebenso die, ob und gegebenenfalls wie viel an Entschädigung zu zahlen ist. Doch es gibt noch etwas viel Wichtigeres für die Opfer von sexuellen Übergriffen durch Priester der katholischen Kirche: Eine offizielle Entschuldigung durch Papst Benedikt XVI.
Halten wir einmal fest: Die katholische Kirche ist eine Institution, die sich als Hüterin von Moral und Anstand versteht. Für viele Menschen ist sie eine lebenswichtige Orientierungshilfe, die ihre Grundsätze aus dem Glauben und der Bibel schöpft. Sie selbst hebt fordernd den Zeigefinger, wenn es um Fragen wie den Gebrauch von Kondomen, die Abtreibung oder die verbreitete Sexualmoral geht.
Und deswegen reicht es nicht, wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche bei extremen Verfehlungen in den eigenen Reihen nur „große Betroffenheit und tiefe Erschütterung“ äußert. Christliche Moral und christlicher Anstand verlangen eine Entschuldigung, nicht nur bei den Missbrauchten und Misshandelten. Sondern auch bei den Gläubigen, die ihrer Kirche und deren Vertretern vertraut haben.
Die Tatsache, dass es Missbrauchsfälle auch in Einrichtungen der evangelischen Kirche und denen anderer Träger gegeben hat und immer noch gibt, entbindet Benedikt XVI nicht von dieser Pflicht.