Ehrlich und arrogant
Die AZ-Politikredakteurin Anja Timmermann über die Enthüllungen von Wikileaks.
Dass Horst Seehofer unberechenbar ist und Guido Westerwelle inkompetent, diese Einschätzungen hätte man in jeder Fußgängerzone abfragen können. Neu ist, dass die USA dies auch so sehen. Und neu ist damit vor allem die Dimension: Die letzteWeltmacht gibt unfreiwillig preis, was sie wirklich denkt, teils erfrischend ehrlich, teils mit viel Arroganz. Ein diplomatischer Gau, wie es ihn noch nie gab.
Die deutschen und europäischen Verbündeten stecken die Lästereien über sie noch souverän weg – und auch da schon wird spannend, wie Außenminister Westerwelle in den USA noch auftreten kann, wenn alle anderen wissen, wie wenig man ihm dort zutraut. In Ländern, zu denen die Beziehungen ohnehin angespannt und/oder die Empfindlichkeiten größer sind, kann ernsthafter Schaden entstehen. Dass Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad jetzt weiß, dass Saudi-Arabien ihn wegbomben lassen wollte, wird die Lage im ohnehin explosiven arabischen Raum nicht entschärfen.
Und so bleibt Wikileaks zwiespältig. Ja, es ist ein Verdienst der Internet-Anarchisten, Dinge aufzudecken, die sonst verborgen geblieben wären – zum Beispiel auch die Afghanistan-Dossiers, die belegen, wie weit die Wirklichkeit von der „Brückenbau“-Mission entfernt ist. Ein Blick hinter die Kulissen – auch bei uns. Aber ein bisschen Vorsicht mit den Daten wäre auch angebracht: Niemand kann wollen, dass es Krieg gibt wegen dem, was ein 22-jähriger Botschaftsangestellter mal beim Bier gehört hat.
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