„Die Reise wird schwierig“: US-Wirtschaft vor stürmischem Krisenjahr

Die Zeichen stehen auf Sturm für die größte Volkswirtschaft der Welt. Zerstoben ist die Hoffnung, die Finanzkrise würde höchstens die Geldbranche kräftig durcheinanderwirbeln, der amerikanischen Realwirtschaft aber allenfalls eine Delle verpassen.
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Barack Obama, der designierte Präsident der Vereinigten Staaten.
ap Barack Obama, der designierte Präsident der Vereinigten Staaten.

Die Zeichen stehen auf Sturm für die größte Volkswirtschaft der Welt. Zerstoben ist die Hoffnung, die Finanzkrise würde höchstens die Geldbranche kräftig durcheinanderwirbeln, der amerikanischen Realwirtschaft aber allenfalls eine Delle verpassen.

Der abgewürgte Kreditfluss trifft die Amerikaner mit voller Wucht, eine Rezession ist abgemachte Sache. Wenn die Regierung des neuen US- Präsidenten Barack Obama am 20. Januar die Arbeit aufnimmt, liegt vor ihr gleich ein ganzer Sack von Mammutaufgaben. Licht am Ende des Krisentunnels ist zumindest vorerst nicht in Sicht. „Die Reise, die vor uns liegt, wird schwierig bleiben“, formulierte es kürzlich der scheidende US-Finanzminister Henry Paulson, und es klang angesichts des drohenden Unheils beinahe beschönigend.

Geht es nach dem Nationalen Büro für Wirtschaftsforschung (NBER), das im Auftrag der Regierung Anfang und Ende von Konjunkturzyklen bestimmt, sind die USA bereits im Dezember vergangenen Jahres in die Rezession geschlittert. Nach der gängigen Definition braucht es dazu zwei aufeinanderfolgende Quartale schrumpfender Wirtschaftsleistung. Das ist zwar noch nicht passiert, wird wohl aber nicht lange auf sich warten lassen: Das dritte Quartal brachte bereits ein Minus von 0,5 Prozent. Für die letzten drei Monate 2008 befürchten die Fachleute der US-Investmentbank Goldman Sachs und andere gar einen Rutsch von dramatischen fünf Prozent in den roten Bereich.

"Der Appetit aufs Einkaufen ist vergangen"

„Das wird nicht in ein paar Monaten vorüber sein“, glaubt Harvard- Ökonom und NBER-Mitglied Jeffrey Frankel. „Wenn wir Glück haben, haben wir es Mitte nächsten Jahres hinter uns.“ Für 2009 erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer im November hastig aktualisierten Prognose, dass die US-Wirtschaft um 0,7 Prozent schrumpft und damit in etwa so stark wie die deutsche. Liegt die Arbeitslosenquote derzeit noch unter sieben Prozent, rechnen Experten mit für US-Verhältnisse deprimierenden bis zu neun Prozent. Weit über eine Million Jobs büßten die USA allein in diesem Jahr ein. Einziger Hoffnungsschimmer sind die drastisch gesunkenen Benzinkosten, was wie eine Art Konjunkturprogramm wirkt.

Die düsteren Zeichen sind unübersehbar. „Den Amerikanern ist der Appetit aufs Einkaufen vergangen“, titelte Ende November die „New York Times“. Das ist umso dramatischer, als 70 Prozent der US- Wirtschaftsleistung vom Konsum abhängen. Dem über beide Ohren verschuldeten Durchschnitts-Amerikaner hat die Kreditkrise den liebgewonnenen Kauf auf Pump gründlich verhagelt. Der heftige Absturz der Börsen ließ Pensionsfonds in die Knie gehen. Und der Niedergang der Immobilienpreise – die Ursache allen Übels – hat Millionen von Häuslebauern höhere Hypothekenschulden eingebracht als ihre vier Wände inzwischen noch wert sind. Wann der Markt seinen Boden gefunden haben wird, ist offen. Manche Experten hoffen, irgendwann im nächsten Jahr, andere tippen auf 2010.

Es war ganz bestimmt kein Zufall, dass der künftige Präsident Obama Ende November zu allererst sein Wirtschaftsteam vorstellte. Kein anderes Thema bewegt die Amerikaner das ganze Jahr so sehr wie die taumelnde Konjunktur. Die Nachricht von der Ernennung des New Yorker Fed-Chefs Timothy Geithner feierten die Börsen mit einem Kursfeuerwerk, auch der Rest der Mannschaft erntete in US-Medien und in der Fachwelt Lob und Anerkennung. Wichtige Posten besetzt Obama mit jungen Technokraten, ideologiefreien Pragmatikern. Ihnen an die Seite stellt er Ökonomen-Urgesteine wie den als brillant geltenden früheren Finanzminister Larry Summers; der hoch angesehene ehemalige Notenbankchef Paul Volcker führt ein eigens geschaffenes Gremium, dass jetzt Ideen für den Aufschwung ausbrüten soll.

Auch Obamas Spielraum hat Grenzen

Niemand zweifelt, dass die erste Amtszeit des ersten schwarzen US- Präsidenten vor allem vom Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise geprägt werden wird. Die Palette der Aufgaben ist gewaltig: Schon ist ein zweites Konjunkturprogramm im Umfang von bis zu 700 Milliarden Dollar (555 Mrd Euro) im Gespräch, das im nächsten Jahr ins Werk gesetzt werden soll. Daneben muss sich das Team um Geithner um die Zukunft der vom Staat kontrollierten größten US- Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac kümmern, um die notwendige Reform der Finanzregulierung und -aufsicht, und auch darum, wie mit dem ebenfalls 700 Milliarden Dollar schweren Banken- Rettungspaket der Bush-Regierung weiter verfahren werden soll. Außerdem wird Geithner erster Ansprechpartner sein, wenn es um die Verwirklichung von Obamas Steuerversprechen geht, nach denen die Reichen künftig stärker zur Kasse gebeten werden und die wirtschaftlich gebeutelte Mittelschicht entlastet werden soll.

Doch hat Obamas Spielraum Grenzen. Alle bisherigen Rettungs- und Stützungsmaßnahmen der scheidenden Regierung summieren sich auf einen Umfang von mehreren Billionen Dollar. Im vergangenen Fiskaljahr klaffte bereits ein Rekord-Haushaltsloch von 455 Milliarden Dollar, und dabei wird es nach Einschätzung von Experten keineswegs bleiben. Schon geht in Washington die Kunde um, dass Obama die Einlösung einiger seiner Wahlversprechen wohl wird aufschieben müssen.

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