Die Macht des Netzes
Das Internet ist immer so gut oder böse wie seine Nutzer - Die AZ-Politikredakteurin Anja Timmermann über die Rolle des Internets in der Iran-Krise.
Nein, neu ist es nicht, das Internet – aber revolutionär neu ist die Rolle, die es bei solchen Aufständen wie im Iran spielen kann: Die Schwachen haben eine mächtige neueWaffe. Dabei ist es bei uns oft als Medium für Amokläufer, Gewaltspielfans und Kinderpornogucker im Gespräch. Natürlich ist es das auch – es ist eben ein Kommunikationsmedium, und es ist so gut und so böse, so dumm oder so klug, wie die Menschen, die es nutzen.
Und ist es auch nicht automatisch besser oder schlechter als der klassische, recherchierte Journalismus – oder ein Ersatz dafür. Es gibt dort keine unabhängigen Quellen; dafür aber ungefilterte, unpolierte, emotionale, hautnahe Berichte mitten aus der Revolution, voller Angst, Wut, persönlichen Sorgen, Hoffnungen und Bitten.
Wir sitzen am heimischen Schreibtisch und lesen, was iranische Studenten tippen, während sie eingesperrt in ihrem Schlafsaal sitzen und draußen die Schüsse fallen. Und die Welt macht mit, sie antwortet und hilft. Allein das schon ist viel, dass einanderWildfremde, denen bisher gesagt wurde, die anderen seien verschleierte Holocaust-Leugner beziehungsweise aggressive Kapitalistenschweine, sich Mails mit den neuesten Technik-Tricks schicken.
Eine Zensur findet in Twitter nicht statt – das hat uns bisher unter anderem Details über die Essgewohnheiten von Paris Hilton beschert. Jetzt ist es für viele Iraner der letzte verbleibendeWeg, ihren Protest zu organisieren – und die Welt für sich zu gewinnen. Das Wort war schon immer eine starke Waffe, jetzt hat es einen neuen Weg gefunden.