Die Herausforderung

Die Euphorie könnte rasch umschlagen, wenn Erfolge ausbleiben. Matthias Maus, Chefreporter der AZ, über die epochale Wahl von Barack Obama.
Von Bagdad bis Buenos Aires, von Oslo bis zum Okawango, es gibt wohl niemanden auf der Welt, den dieser 4. November 2008 kalt gelassen hat. Von historischen Momenten war viel die Rede in diesem Jahr. Und es tut gut – nach Finanzkrise, Nahrungsknappheit und Kaukasus-Krieg – bei der Wahl von Barack Obama ein positives Grundgefühl zu spüren. Dabei ist sonnenklar: Der Senator aus Illinois ist kein Messias, niemand mit einem funktionierenden Kopf kann glauben, dass allein die Wahl eines Mannes irgend eines der Probleme auf der Welt lösen wird. Es zeigt Obamas Format, dass er gleich in seiner Siegesansprache von möglichem Scheitern redet, von Zweifeln, von den selbstverständlichen Vorgängen im Kopf eines denkenden Menschen. Der vermeintlich mächtigste Politiker der Erde zeigt eine Bescheidenheit, die der Rest der Welt bei seinem Vorgänger so schmerzlich und so folgenreich vermisst hat. Wie weite Teile der Welt haben sich auch die Amerikaner von George Bush und seinen Ideologen gegängelt gefühlt, missachtet und ignoriert. Ihre Sorgen wurden von der politischen Elite gering geschätzt, und als die Menschen Schutz brauchten, vor Hurrikan, Hypothekenkrach oder Börsenkrise, da konnten die Führer nicht helfen.
Es ist eines der großen Verdienste von Barack Obama, dass diese Missachtung nicht in Politikverdrossenheit umgekippt ist. Mit seinem Schlagwort „Hope“, was nichts anderes ist als das „Prinzip Hoffnung“ des deutschen Philosophen Ernst Bloch, hat Obama Millionen eine Stimme gegeben. Und er hat einen Wesenszug im Menschen angesprochen, der an das Machbare, an das Bessere glaubt. Obamas Wahl ist eine ungeheure Herausforderung. Zu allererst einmal für ihn selbst. Der nächste Präsident muss sich um seine Wähler kümmern, um die zuerst, und er muss schnell Ergebnisse liefern. Die brennenden Probleme der Wirtschaftskrise sind so elementar, sie können so rapide in sozialen Abstieg und Verelendung führen, dass Euphorie und Jubel schnell in giftige Ablehnung umschlagen können. Und dann muss er noch zwei Kriege beenden oder gewinnen.
Obamas Wahl ist aber auch eine Herausforderung für den Rest der Welt. Von den Höhlen in Afghanistan bis zu den Denkerstuben der europäischen Feuilletons: Alle müssen ihr liebgewonnenes Bild von den USA überholen. Die mächtigste Demokratie der Welt ist nicht der große Satan, wo nur der Rücksichtslose und der Brutale eine Chance hat. Die USA sind auch nicht der Hort der Unterdrückung, in der Minderheiten nur ausgebeutet werden. Die USA sind eine Gesellschaft, in der „Multikulti“ dazu geführt hat, dass der Sohn eines kenianischen Vaters und einer weißen Mutter, der in Asien und Hawaii aufgewachsen ist, ins höchste Staatsamt gelangen kann. Auch ach so aufgeklärte Gesellschaften wie unsere müssen sich nach Obamas Wahl fragen, wie weit sie sind im Umgang mit den Minderheiten, dem Fremden. Wie durchlässig sind denn die ethnischen Grenzen in Frankreich oder in Deutschland? Obamas Wahl kann Ansporn sein zu einer Integration, die oft nur in Sonntagsreden vorkommt. Es gibt da viel zu tun, und es wäre schön, wenn auch wir sagen würden: „Yes we can“ – Ja, das können wir auch.