Der Unmut wächst: Merkel stellt sich gegen die Konjunktur-Stützer
BERLIN - Auf Bundeskanzlerin Angela Merkel wächst der Druck, mehr gegen die Rezession zu unternehmen. Doch Merkel bleibt hart - und lässt sich zugleich ein Türchen offen. Von Konsum-Gutscheinen will man zunächst nichts wissen.
Als «Häuptling ruhige Hand» wurde Gerhard Schröder verspottet, nachdem er selbst seine Politik, auf kurzfristige wirtschaftliche Entwicklungen nicht überstürzt zu reagieren, als «Politik der ruhigen Hand» bezeichnet hatte. Seine Nachfolgerin im Bundeskanzleramt, Bundeskanzlerin Angela Merkel, macht derzeit nicht viel anderes. Zwar legt die Regierung ein Konjunkturpaket auf, welches Kritiker aber noch nicht einmal als «Konjunkturpäckchen» bezeichnen wollen – das Sammelsurium reiche bei weitem nicht aus, um die Rezession zu verhindern.
Während auch innerhalb der Union der Druck auf Merkel wächst, mehr zur Ankurbelung des privaten Konsums zu tun – etwa über eine deutliche Steuersenkung – bleibt die Regierung hart: Mehr als die bereits beschlossenen Maßnahmen, etwa die Kfz-Steuerbefreiung oder die Förderung von Häusersanierung, ist nicht geplant. Entsprechend wies das Finanzministerium in Berlin prompt einen Bericht zurück, man erwäge die Ausgabe von Konsum-Gutscheinen. Das sei «absurder Unsinn».
Spekulation über Barschecks
Dagegen will das «Handelsblatt» erfahren haben, dass in der Regierung über solche Konsum-Coupons nachgedacht wird, um die Binnenwirtschaft gezielt anzukurbeln. «Wenn die beschlossenen Instrumente nicht ausreichen, werden wir mit weiteren Milliarden die Konjunktur stützen», zitiert die Wirtschaftszeitung einen hohen Regierungsbeamten. Die Ausgabe von Konsumgutscheinen sei denkbar, im Gespräch sei laut Regierungskreisen ein Betrag von 500 Euro pro Begünstigten. Möglicherweise werde an den Gutschein die Bedingung geknüpft, dass der Bürger beim Einlösen zusätzlich eigenes Geld investieren muss. Möglicherweise beschenkt die Regierung aber auch nur die etwa 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, Rentner und andere Nichterwerbstätige gingen dann leer aus.
Im Finanzministerium halte man die Ausgabe von Konsum-Gutscheinen insbesondere deshalb für einen geeigneten Konjunkturimpuls, weil anders als bei allgemeinen Steuersenkungen nicht die Gefahr besteht, dass das zusätzliche Geld gespart und nicht ausgegeben wird. Zunächst will die Koalition aber abwarten, ob die bereits beschlossenen Maßnahmen ausreichen, um die negativen Folgen der internationalen Finanzkrise abzufedern. Merkel kündigte am Montag an, das Konjunkturprogramm werde im Januar überprüft.
Damit ist das letzte Wort über zusätzliche Schritte gegen den Abschwung noch nicht gesprochen. Allerdings kann Merkel wohl nur langsam umschwenken, will sie trotz der lauter werdenden Forderungen aus der eigenen Partei und von Wirtschaftsexperten ihr Gesicht nicht verlieren. Daher betont Bundeskanzlerin Angela Merkel schon mal vorsorglich und im Einklang mit Regierungspartner SPD, niemand könne den weiteren Verlauf der Wirtschaftskrise vorhersagen.
Brüssel: Mehrwertsteuer-Senkung sinnvoll
Damit eröffnet sie sich die Möglichkeit, doch noch mehr zu tun – bislang hat die Bundesregierung Entlastungen im Gesamtumfang von 32 Milliarden Euro beschlossen, um die Rezession zu bekämpfen. Wirtschaftsexperten wie etwa Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) oder Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut (RWI) gehen die bisherigen Maßnahmen in die falsche Richtung beziehungsweise nicht weit genug.
Und auch Unionspolitiker klagen immer lauter über den ihrer Meinung nach unzureichenden wirtschaftspolitischen Kurs: «Es reicht nicht, was in Berlin bislang beschlossen wurde», sagte der CDU-Europaabgeordnete Kurt Lauk dem «Handelsblatt». «Wir brauchen jetzt flächendeckend Steuersenkungen - und zwar noch vor der Bundestagswahl», sagte der EU-Parlamentarier Klaus-Heiner Lehne, ebenfalls CDU-Mitglied. Er will seine Forderung auf dem CDU-Bundesparteitag kommende Woche in Stuttgart vorbringen.
Neben den Kritikern im eigenen Land sitzen Merkel schließlich auch ihre Amtskollegen in anderen europäischen Ländern im Nacken. Merkels Kritiker halten ihr vor, was anderswo gegen die Rezession unternommen wird: Großbritannien senkt die Mehrwertsteuer, Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi will Geringverdiener direkt Geld zukommen lassen, und auch Spanien oder die Niederlande haben große Konjunkturprogramme aufgelegt. Und auch die EU-Kommission weist Merkel den Weg: Im Entwurf des für Mittwoch angekündigten Konjunkturprogramms hält Brüssel «vorübergehende Mehrwertsteuersenkungen» für sinnvoll, ebenso eine Reduzierung der Lohnsteuer für Geringverdiener. Zuvor hatte Merkel der Absenkung der Mehrwertsteuer eine Absage erteilt. (nz)