Der total überwachte Autofahrer

Megathema Auto digital. Es kommt die „Blackbox“ wie im Flugzeug. Der Fahrtenschreiber kann im Notfall Hilfe holen, und Versicherungen können Prämien nach dem Fahrstil berechnen
von  Susanne Stephan

 

GOSLAR Eine Überwachungs-Wanze ist eigentlich kleiner: Die Blackbox, die einige Kunden der Sparkassen-Direktversicherung fürs Auto bekommen, ist etwas größer als eine Zigarettenschachtel. Aber sie späht professionell: Wann der Fahrer wie schnell fährt, wo er eine Vollbremsung einlegt – die Box registriert’s und meldet’s per Funk der Versicherung. Die kalkuliert die Prämie unter anderem entsprechend der Fahrweise.

Eine kundenfreundliche Innovation – oder ein Fall von dreister Daten-Sammelwut? Der Umgang mit den Informationen der Autofahrer ist eines der spannendsten Themen auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar. Gestern begann das Treffen, auch heute noch wird über den Zugriff von Herstellern, Telekom-Unternehmen und anderen Firmen auf den Autofahrer diskutiert.

Die Anbieter neuer Datendienste werben mit den Nutzen: Die Sparkassen-Direktversicherung weist darauf hin, dass Kunden ihres Telematik-Tarifs nicht nur (möglicherweise) weniger zahlen, sondern dass die Blackbox bei einem schweren Unfall auch automatisch einen Rettungswagen holt, dass Fahranfänger gratis ein professionelles Feedback über ihr Fahrverhalten bekommen und dass der Wagen nach einem Diebstahl leicht geortet werden kann.

Ähnliches verspricht das europäische Notrufsystem Ecall, mit dem ab 2015 Neuwagen ausgerüstet sein sollen. Es wurde von der EU ins Leben gerufen und soll pro Jahr 2500 Menschenleben retten. Das System erkennt einen Crash beispielsweise daran, dass der Airbag ausgelöst wird. Eine tolle Sache? Nur zum Teil, findet der ACE Auto Club Europa. Er fürchtet, „dass Autofahrer klammheimlich eine Art von NSA-Wanzen untergejubelt bekommen“. Denn Ecall alarmiere nicht nur Rettungsdienste und liefert Informationen zu Standort, Fahrtrichtung und Autotyp.

Der Minicomputer speichere alle Daten zur persönlichen Fahrweise des Nutzers, etwa auch zur Geschwindigkeit vor dem Crash, sagt auch Verkehrsjurist Christian Funk vom Deutschen Anwaltverein (DAV). „Ein Fahrer muss sich nach dem Rechtsstaatsprinzip zwar nicht selbst belasten. Wenn die Behörden aber an Fahrdaten gelangen, wird ihm das nicht viel nützen.“

Wer fährt, hinterlässt Spuren im Datendickicht – das gilt freilich heute schon für praktisch alle Autofahrer, nicht nur für einzelne Versicherungskunden. Bis zu 80 Steuergeräte sammeln im Auto Daten während des Fahrens über den Zustand des Pkw, sagt der Präsident des Verkehrsgerichtstages, Kay Nehm. Es müsse geregelt werden, welche Daten erhoben würden, fordert der Anwaltverein.

Die Schürfen in der Daten-Goldmine sei „ein Megathema für die gesamte Branche“, urteilt auch Stefan Bratzel, Professor an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. „Wenn ein Hersteller weiß, wann seine Kunden wo unterwegs sind, kann er Pannendienste organisieren. Er kann mir auch, wenn ich nach Venedig fahren, günstige Hotels anbieten.“

Sämtliche Autokonzerne würden über solche Dienste nachdenken, berichtet Bratzel. Besonders weit ist Audi: Die Volkswagen-Tochter kooperiert mit Google. Der Suchmaschinenbetreiber stellt Dienste für Smartphones mit Android-Betriebssystem bereit.

Auto und Handy – bei dieser Kombination bekommen Produkt-Designer glänzende Auten. Übers Handy das Auto vorheizen, den Tankstand vom Schreibtisch aus abfragen, Mitfahrer für eine Reise organsieren oder zulassen, dass das Auto selbsttätig anhand der aktuellen Fahrzeugdaten und des Terminkalenders des Besitzers den nächsten Werkstatttermin plant. Der Phantasie sind wenig Grenzen gesetzt. Auch BMW freut sich über die schöne bunte Datenwelt und hat sich in einer Allianz mit Apple und anderen Autoherstellern zusammengeschlossen.

Für Auto-Professor Stefan Bratzel übersteigt der Nutzen der neuen Anwendungen ihren Schaden. Auch Bratzel warnt aber: „Der Kunde weiß zum Teil gar nicht, welche Informationen er preisgibt.“ Und juristisch würden die Hersteller Neuland betreten. Welche Pkw-Daten weiterverkauft, mit den persönlichen Informationen des Besitzers verknüpft werden können, sei bisher nicht deutlich geklärt.

Der Experte mahnt deswegen, der Autofahrer müsse explizit um Erlaubnis gefragt werden, sobald seine Daten weiterverwendet werden – „und zwar nicht in Form einer Generallvollmacht.“

Dann könnte der Autofahrer von Fall zu Fall entscheiden: Ein Warnsignal, das ihn darauf hinweist, dass die Waschflüssigkeit für die Scheiben zur Neige geht, ist hilfreich. Die Anfrage des Finanzamtes zu den Reisedaten seines angeblich nur beruflich genutzten Autos ist dagegen möglicherweise höchst lästig. Das Gleiche gilt für die Anfrage der Ehefrau, die wissen will, wo das Auto am letzten Wochenende geparkt wurde. U

nd vollkommen inakzeptabel würde es für den Kunden wohl, wenn der Hersteller per Mausklick die Bordelektronik lahmlegt, weil eine Leasingrate nicht bezahlt wurde. Oder, noch furchterregender: wenn sich ein Hacker ins System einschleicht und den Wagen vom heimischen Laptop aus manipuliert. sun

 

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