Der Niedergang von Thyssen

Milliarden-Verluste – und der halbe Vorstand von ThyssenKrupp musste gehen.  Ein Konzern, eine Region, ein Industriemythos ist im Abstieg
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Milliarden-Verluste – und der halbe Vorstand von ThyssenKrupp musste gehen. Hoffnung ruht auf neuer Führungskultur, aber klar ist: Ein Konzern, eine Region, ein Industriemythos ist im Abstieg

ESSEN Mieser Tag für ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger: Bei der gestrigen Bilanzpressekonferenz musste er fünf Milliarden Euro Verlust verkünden. Die Dividende ist gestrichen, die Kurzarbeit wird verlängert, drei Top-Manager müssen gehen. Also nahm er kein Blatt vor den Mund: Seilschaften und blinde Loyalität seien wichtiger gewesen seien als unternehmerischer Erfolg, „Fehlentwicklungen wurden lieber verschwiegen als korrigiert“. Einige seien offenbar der Ansicht gewesen, dass „Regeln, Gesetze und Vorschriften nicht für alle gelten“.

Allein der Verlust durch Fehlinvestitionen in den USA und Brasilien hat sich im abgelaufenen Geschäftsjahr auf 3,6 Milliarden Euro verdoppelt, Insgesamt waren es fünf Milliarden Miese. Und es wurden viele Fälle von unsauberen Geschäftspraktiken ruchbar. Hiesinger gelobt Besserung mit „einer neuen Führungskultur, die auf Ehrlichkeit, Transparenz und Leistungsorientierung basiert“. Der Vorstandschef, der erst seit 2011 amtiert, will die defizitären Anlagen jenseits des Atlantiks verkaufen – einen Käufer konnte er aber noch nicht präsentieren. Wegen der schlechten Aussichten will er die Kurzarbeit verlängern. Auch die Aktionäre müssen ihren Teil beitragen: Erstmals gibt es keine Dividende. Die Arbeitnehmervertreter kündigten an, Hiesinger zu unterstützen: „Wir brauchen einen Neuanfang.“

Ob der Vorstandschef das Ruder herumreißen kann oder nicht: Das Milliardendebakel ist nicht nur das Versagen Einzelner. Hohes Risiko und dubiose Geschäftsmethoden zeigen deutlich: Die Stahlindustrie ist in einer neuen Krise, so leicht scheint sich einfach kein Geld verdienen zu lassen. „Was Krupp in Essen, sind wir im Trinken“, lautet ein beliebter Sponti-Spruch aus den Achtzigern, und „hart wie Kruppstahl“ sollten die Deutschen im Dritten Reich sein. Heute kennt die Sprüche kaum jemand, denn Krupp ist 1999 in ThyssenKrupp aufgegangen, und die Stahlindustrie keine Paradedisziplin der deutschen Wirtschaft mehr.

Der Abstieg einer ganzen Region

Der Abstieg begann mit dem wichtigsten Rohstoff der Region: Die Kohle des Ruhrgebiets, Ursprung und Brennstoff des industriellen Aufschwungs, gilt schon lange als teuer und umweltfeindlich. Das Revier muss sich neu erfinden und tut das auch. Zwar ist Strukturwandel oft nur ein schöneres Wort für Stilllegung und Niedergang: Seit 2009 gibt es im Ruhrgebiet nur noch vier fördernde Bergwerke. Die meisten Zechen wurden jedoch schon in den Dreißigerjahren geschlossen, das Ruhrtal ist heute Naherholungsgebiet. Eine Gegenstrategie gegen die wegbrechende Bedeutung der Kohle war, die Minenarbeiter in Fabriken zu beschäftigen: 1962 baute Opel seine Werke in Bochum, doch 2016 ist es mit dem Autobau dort wieder vorbei, wie jetzt bekannt wurde. 

Der Strukturwandel hält an. Während es Anfang der Achtziger allerdings noch ebenso viele Beschäftige im Produktions- wie im Dienstleistungssektor gab, sind die Dienstleister im Pott heute doppelt so viele. Die Arbeitslosigkeit ist allerdings ebenfalls hoch; 14 Prozent sind es in Duisburg und Dortmund, 13 Prozent in Essen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, einst Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, zieht sich zum Jahreswechsel aus dem Aufsichtsrat des Stahlkonzerns zurück. Es wurde nicht bekannt warum, klar ist aber: Politiker lassen sich ungern mit schlechten Nachrichten in Verbindung bringen.

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