Demjanjuks Richter
Diesen Prozess ist der Rechtsstaat den Opfern schuldig - AZ-Redakteur Stephan Kabosch über den Fall Demjanjuk.
Recht, nicht Rache: Simon Wiesenthal, der Holocaust- Überlebende und Nazi-Jäger, hatte dies zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Hitlers Henker sollen sich vor der Welt verantworten müssen, egal wie lange ihre Verbrechen zurückliegen. Deshalb verjährt Mord nie. Das ist so im deutschen Strafgesetz geregelt – als Reaktion auf die Nazi-Diktatur. Und deshalb auch soll John Demjanjuk jetzt in München der Prozess gemacht werden. Ein gebrechlicher alter Mann, der die Vorwürfe bestreitet und der in Israel bereits verurteilt wurde, später aber aus Mangel an Beweisen freigelassen werden musste.
Darf man aus Rücksicht auf Alter und Krankheit, aus Furcht vor einem Freispruch einfach sagen: „Lassen wir's gut sein nach sechs Jahrzehnten“? Darf man also auf eine Strafverfolgung verzichten? Nein, darf man nicht. Denn es gibt sehr schwere Vorwürfe gegen John Demjanjuk, Gutachten, nach denen er am Massenmord von Sobibor beteiligt war, Zeugenaussagen. Und es existieren rechtsstaatliche Standards, welche die Verhandlungsfähigkeit des alten Mannes berücksichtigen ebenso wie seine Haftfähigkeit.
Ja, es könnte gut sein, dass ein Urteil gegen John Demjanjuk niemals vollstreckt wird, weil er zu krank ist für die Haft. Doch selbst das wäre keine Farce, kein Scheitern. Es ist der Preis unseres Rechtsstaates, der selbst mit den unmenschlichsten Tätern menschlich umgeht. So, wie es seine Verantwortung ist, ein Signal zu senden, dass die schlimmsten Verbrechen niemals vergessen werden. Der Rechtsstaat ist es den Opfern, er ist es der Demokratie schuldig.
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