Das NRW-Experiment
Bei uns haben Minderheitsregierungen keinen guten Ruf - Frank Müller, AZ-Politikchef, über die geglückte Wahl von Hannelore Kraft
Parlamentsprofis wissen: Knappe Mehrheiten sind manchmal besser als zu große – weil sie disziplinierend wirken und das Regieren erleichtern. Was aber ist die neue Kraft-Konstellation in Nordrhein-Westfalen für eine Mehrheit: Eine extra knappe oder gar keine?
Anders als ihre dilettantischen Vorgängerinnen Heide Simonis und Andrea Ypsilanti hat Hannelore Kraft in ihrem nun startenden Marathon im Dauerwackeln gar nicht so schlechte Karten. Rot-Grün mit linker Duldung ist ein Experiment, das gelingen könnte, weil es gelingen muss. Wenn die Minderheitenregierung im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland nämlich scheitert, dann wird erneut von NRWein Signal für Berlin ausgehen. Aber keines, das sich die rot-grünen Strategen erträumen. Geht Kraft unter, dann können sich Sigmar Gabriel und Claudia Roth alle Linksbündnis-Ambitionen für Berlin abschminken.
In Deutschland haben Minderheitsregierungen keinen guten Ruf und sind auch nicht üblich – weil sie unangenehme Erinnerungen an die Weimarer Republik wecken. Der Versuch von NRW ist vor diesem Hintergrund ein Risiko – ein kalkuliertes zwar, aber eines, das im Falle eines Scheiterns Schwarz- Gelb im Bund ungewollt stärken könnte. Es hätte eine klare Alternative dazu gegeben: Die FDP hätte sich zu einem Ampelbündnis bereit finden müssen. Dazu war sie noch nicht reif: ein klarer Fall vonmangelnder Zukunftsfähigkeit. Doch irgendwann wird auch die FDP diesen Weg gehen. Spätestens dann, wenn Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat.