Das Jahr der Finanzkrise: Auf Jahrhundertbeben folgt Rezession

Was für ein Jahr: Was in einem Winkel der USA mit faulen Hauskrediten begann, brachte 2008 die Finanzmärkte weltweit ins Wanken.
von  Abendzeitung
Kann nur schlechte wirtschaftliche Nachrichten melden: Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Kann nur schlechte wirtschaftliche Nachrichten melden: Bundeskanzlerin Angela Merkel. © ap

Was für ein Jahr: Was in einem Winkel der USA mit faulen Hauskrediten begann, brachte 2008 die Finanzmärkte weltweit ins Wanken.

Die Wall Street stürzte die Welt in eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Experten zeigen sich erschreckend einig: Die Lawine wird immer mehr Branchen und ganze Staaten erfassen. 2008 geht vorbei – die Krise aber bleibt.

Sonst sind Wegmarken der Geschichte oft erst im Rückblick erkennbar, die aktuelle Misere offenbart ihr historisches Ausmaß schon jetzt: An den Börsen verloren Anleger zweistellige Billionensummen, Banken weltweit schrieben bisher mehr als 700 Milliarden Dollar ab, allein in der Finanzbranche gingen schon Hunderttausende Jobs verloren. Die Finanzmärkte – ein „Monster“, wetterte Bundespräsident Horst Köhler.

Die Wirklichkeit schlug alle Vorstellungskraft: Wer hätte einst für möglich gehalten, dass binnen weniger Monate Bankenriesen gleich reihenweise in die Knie gehen, hochgiftige Kreditpapiere die Märkte taumeln lassen und Aktionäre panisch den Ausgang suchen? Und das nicht nur im amerikanischen Epizentrum des Finanzbebens, sondern mit heftigen Schockwellen weltweit.

Die Abwärtsspirale dreht sich immer rasanter

Noch Ende September geißelt Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Bundestag den ungezügelten US-Kapitalismus. Sechs Tage später verkündet er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine staatliche Komplettgarantie privater Kundeneinlagen. Die „Gier“ der blamierten Banker an der Wall Street hatte auch deutsche Bankiers angesteckt. Kleinanlegern und selbst den Kirchen drehten sie hochriskante US-Geldanlagen an.

Von den Beteiligten schlug keiner rechtzeitig Alarm, weil alle am Immobilienbooom in den USA lange Zeit prächtig verdienten: Banken, Kreditvermittler, Hausbesitzer und Anleger. Keiner wollte die wenigen warnenden Stimmen hören. Zuletzt gab es in Amerika Hypotheken ohne jede Sicherheit außer dem Haus („subprime“-Kredite). Als erste Schuldner nicht mehr zahlten und Hauspreise zu bröckeln begannen, drehte der Trend.

Ein erster US-Paukenschlag war bereits Mitte 2007 das spektakuläre Scheitern zweier Hedge-Fonds der heute notverkauften Investmentbank Bear Stearns. Kurz darauf geraten in Deutschland die Mittelstandsbank IKB und einige Landesbanken in den Sog. Weltweit vermeldet von nun an ein Finanzhaus nach dem anderen Wertverluste in Milliardenhöhe – die Abwärtsspirale dreht sich das ganze Jahr 2008 hindurch immer rasanter.

2009 - ein "Jahr schlechter Nachrichten"

Mit der Pleite von Lehman Brothers am „schwarzen Montag“ Mitte September 2008 brechen schließlich auch in Europa alle Dämme: Der deutsche Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate verschlingt seither immer höhere Milliardenhilfen. Die Bundesregierung spannt über die gesamte Bankenbranche einen enormen Rettungsschirm von 500 Milliarden Euro. Die BayernLB braucht 30 Milliarden Euro.

Die europäischen Nachbarn ringen mit teils noch größeren Problemen. Nationen wie Island und Ungarn droht gar eine Staatspleite. Auch die Schwellenländer, bisher Hoffnungsträger der Industrienationen als Absatzmärkte, kommen immer mehr unter Druck.

Längst ist die Finanzkrise zur internationalen Wirtschaftskrise geworden. Den global viele Billionen Euro schweren Rettungspaketen folgen nun ebenfalls riesige Konjunkturprogramme. Die Wirkung ist umstritten. Steinbrück weiß: „Ich kann mit öffentlichen Konjunkturprogrammen nicht gegen den Trend anfinanzieren.“

Nach den Banken hat es die Autobauer und die Chemiebranche erwischt. Viele weitere werden laut Experten folgen. Deutschland droht die tiefste Rezession seit Gründung der Bundesrepublik. 2009 werde ein „Jahr schlechter Nachrichten“, warnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

„Realwirtschaftlich haben wir gerade mal das erste Drittel der Krise hinter uns“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Sie wird nicht vor Mitte 2010 ausgestanden sein.“ Weitere Zinssenkungen der Notenbanken seien bereits klar. „Sie müssen aber rechtzeitig wieder umschalten“, warnt Krämer. Billiges Geld und zügelloses Leben auf Pump waren schließlich einer der Auslöser der Kreditkrise. Besonders in den USA dürfe auch die Staatsverschuldung nicht noch mehr aus dem Ruder laufen. „Irgendwann muss das ganze Geld auch wieder eingesammelt werden, das jetzt ausgegeben wird.“

Obamas Herausforderung fürs Leben

Doch die bisherigen Staatshilfen etwa für Banken reichen nach Ansicht vieler Experten nicht. „Das wird auch in Deutschland noch massiv zunehmen“, schätzt Bankenprofessor Martin Faust von der Frankfurt School of Finance and Management. Frühestens 2011 oder 2012 werde sich der Staat aus den Banken zurückziehen können. „Dafür muss es aber erst jemanden geben, der ihm die Anteile abkaufen will.“

Großes Ziel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) für 2009: Sie versprachen auf dem ersten Weltfinanzgipfel im November in Washington nichts weniger als eine neue globale Finanzarchitektur. Zum nächsten Gipfel im April sollen die Säulen des künftigen Systems stehen, damit sich eine solche Krise nicht wiederholt. Vor allem aber müsse an den Märkten wieder Vertrauen wachsen, so Experten. Das dauert.

Viel hängt vom künftigen US-Präsidenten Barack Obama ab. Die Krise muss laut Experten dort gelöst werden, wo sie herkam. Das bedeutet Aufräumarbeiten an der Wall Street und am US-Immobilienmarkt, wo bis 2010 noch immer über sieben Millionen Zwangsversteigerungen drohen. „Wir stehen vor der größten wirtschaftlichen Herausforderung unseres Lebens“, sagte Obama.

Wird das nächste Jahr nun so schlimm wie die Weltwirtschaftskrise („Great Depression“) nach 1929? Nein, meinen bislang die meisten Experten. „Damals wurden von der Politik massive Fehler gemacht. Das ist heute anders“, sagt Krämer. Für Deutschland haben Ökonomen neben den vielen bitteren Botschaften auch eine gute Nachricht: Die deutsche Wirtschaft dürfte die Krise weniger geschwächt überstehen als andere. „Wenn diese Rezession einmal vorbei ist, dann könnte Deutschland in einer Pole-Position stehen“, meint Krämer.

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