Das große Fressen an den Finanzmärkten
NEW YORK/FRANKFURT/MAIN Für patriotische Börsianer an der Wall Street ist es ein Schock. Ihre Börse, die New York Stock Exchange (NYSE) , wird voraussichtlich übernommen – von den Deutschen. Weil die Gerüchteküche immer wildere Spekulationen gebar, gaben die beiden Handelsplätze in Frankfurt und New York endlich bekannt: Ja, wir planen die Firmenhochzeit – die Fusion zur weltweiten Megabörse.
Schon zweimal, 2008 und 2009, wurde laut über einen Zusammenschluss der beiden Börsen nachgedacht. Aber die Finanzkrise machte den Strategen der beiden Unternehmen einen Strich durch die Rechnung. Außerdem wollte sich die Frankfurter Börse nicht der NYSE unterordnen. Jetzt scheinen die Unstimmigkeiten aus dem Weg geräumt, und der große Wurf könnte gelingen. Allerdings gibt es Bedenken: Wettbewerbshüter wollen sich den Zusammenschluss sehr genau ansehen, und die Beschäftigten gehen bereits jetzt auf die Barrikaden: „Wir haben völlig überrascht und mit großer Bestürzung von diesem Fusionsvorhaben erfahren”, sagt ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.
Was sind die Vorteile einer Fusion?
Die etablierten Börsen bekommen immer mehr Konkurrenz von anderen Internet-Handelsplattformen. Deswegen sind ihre Gewinne in den letzten Jahren nicht mehr nennenswert gestiegen. Diesen Parallelbörsen wollen die althergebrachten Börsen etwas entgegensetzen. Die schiere Größe einer neuen Megabörse soll die Investoren überzeugen. Wo sekündlich Tausende von Käufern und Verkäufern aufeinandertreffen, so die Logik, bilden sich die solidesten Preise, werden die Aufträge der Anleger am schnellsten abgewickelt.
Zudem dürften die Kosten einer großen Börse deutlich geringer sein als die zweier Unternehmen. Am aufwendigsten ist der Unterhalt des technischen Handelssystems. Es muss in Bruchteilen von Sekunden reagieren und darf unter keinen Umständen ausfallen – Millionenverluste für die Anleger könnten die Folge sein. Zwei getrennte Handelssysteme zu unterhalten ist dabei ungleich teurer als die Pflege eines einheitlichen Systems. Das bedeutet aber auch: Eine fusionierte Börse braucht weniger Menschen. Deswegen fürchten die Arbeitnehmervertreter um Jobs.
An den Aktienmärkten wurden die Fusionspläne dagegen euphorisch begrüßt. Anteile der Deutschen Börse legten zwischenzeitlich um fast sieben Prozent zu, ähnlich Aktien der NYSE.
Welche Rolle soll die Deutsche Börse in dem neuen Unternehmen spielen?
Eine führende. Die Frankfurter werden nach den bisherigen Plänen 60 Prozent der Aktien bekommen. Deutsche-Börse-Vorstandschef Reto Francioni soll Aufsichtsrats- oder sogar Vorstandschef werden. Das Direktorium soll aber zu gleichen Teilen mit Vertretern der NYSE und der Frankfurter Börse besetzt werden. „Weltfinanzzentrum”, sagt außerdem Martin Faust von der Frankfurt School of Finance, „bleibt immer noch New York”.
Was sagen die Kartellbehörden?
Sie könnten die Fusion mit einem Veto noch zu Fall bringen. Eine neue Megabörse (die beiden Unternehmen zusammen werden ein Handelsvolumen von über 21 Billionen Dollar haben) hat gegenüber ihren Kunden – also den Aktiengesellschaften, deren Anteile an die Börse gebracht werden, und den Anlegern – eine starke Stellung. Die Preise fürs Listing (die Aufnahme eines Wertes in das Angebot einer Börse) und für den Handel selbst könnten deswegen steigen. Speziell in Kontinentaleuropa dürfte die deutschamerikanische Börse den Handel dominieren.
Haben kleine Börsen neben den großen Unternehmen überhaupt noch eine Chance?
Höchstens dann, wenn sie sich auf Spezialitäten konzentrieren. Beispielsweise den Handel mit Optionsscheinen (Börse Stuttgart), die Betreuung regionaler Aktiengesellschaften und Privatanleger (Börse München).
- Themen:
- New York Stock Exchange (NYSE)