Bürgerfrust
Die Justiz gewährt Antidemokraten demokratische Rechte. Volker Isfort über den Neonazi- Aufmarsch in München.
Mehr als zwölftausend Münchner verhinderten im März 1997 mit der „Besetzung“ des Marienplatzes einen Nazi-Aufmarsch im Herzen der Stadt. Es war eine Sternstunde des bürgerlichen Zusammenhalts. Seitdem bröckeln die Zahlen der Protestler, wenn fast rituell alle paar Jahre einige hundert aus ganz Deutschland zusammengekarrte Unbelehrbare ihren angemeldeten Marsch durch die Stadt antreten: vom Kreisverwaltungsreferat verboten, aber – wie vergangenen Freitag – vom Verwaltungsgerichtshof wieder erlaubt.
Da trösten auch warme Worte des Oberbürgermeisters Christian Ude ( „Wir zeigen ihnen, dass die Straße dem Bürger gehört“) wenig. Denn der hinter Absperrgitter gepferchte Münchner muss mitansehen, wie mitten auf der Straße die Fraktion der Bomberjacken und ausrasierten Stiernacken läuft, geschützt von Hundertschaften der Polizei.
Das ist nicht nur gespenstisch, sondern auch unglaublich ärgerlich für die Bürger. Gerne würde man den schwarzen Peter an die Justiz weitergeben.Wie ist es überhaupt möglich, dass so offensichtlich antidemokratisch Gesinnte sich auf ein so eminent wichtiges demokratisches Grundrecht wie das Versammlungsrecht berufen können? Und wie kann es sein, dass zwar Fackeln und Trommeln, nicht aber der ganze Spuk eines Aufmarsches verboten werden können?
Die dahinter steckende Absicht einer öffentlichen Inszenierung ist für jedermann ganz ohne Jurastudium zu begreifen – leider aber nicht für die deutsche Justiz, die erneut zum Bürgerfrust beigetragen hat.
Der Autor ist Kultur-Chef der Abendzeitung