Börsenkrimi wegen "Gamestop": Viele Davids gegen Goliath

Die US-Börse ist außer Rand und Band: Im Internet haben sich unzählige Kleinanleger vereint, um Hedgefonds das Handwerk zu legen - mit großem Erfolg.
von  Dominik Petzold
Ein Demonstrant empört sich vor der New Yorker Börse, dass sich der Online-Händler Robinhood auf die Seite der Hedgefonds schlug.
Ein Demonstrant empört sich vor der New Yorker Börse, dass sich der Online-Händler Robinhood auf die Seite der Hedgefonds schlug. © imago/ZUMA Wire

Das Internet und insbesondere die Sozialen Netzwerke rütteln und schütteln die Welt komplett durcheinander. Das bekommen nun Hedgefonds und Finanzinvestoren zu spüren: In den USA setzen ihnen seit Mitte Januar Internet-Rebellen gewaltig zu. Diese haben den professionellen Börsenzockern schon Verluste in Milliardenhöhe beschert.

Wer ist "Gamestop"?

Im Mittelpunkt dieses Börsenkrimis steht eine Kette von Computerspiel-Läden namens "Gamestop". Das texanische Unternehmen, das auch Niederlassungen in Deutschland hat, steht eigentlich vor großen Problemen: Immer mehr Computergames werden online gespielt, dazu kommen die Umsatzrückgänge des Einzelhandels in der Corona-Pandemie.

Für Hedgefonds schien das eine sichere Nummer zu sein: Sie gingen davon aus, dass die Aktienwerte des Unternehmens sinken würden - und wetteten darauf große Beträge, mit sogenannten Leerverkäufen (siehe Kasten). Das Kalkül: Je stärker die "Gamestop"-Kurse fallen würden, desto größer wären ihr Gewinne. Dass das moralisch höchst fragwürdig ist, liegt auf der Hand: Die Börsenzocker würden im Normalfall daran verdienen, wenn "Gamestop" Schwierigkeiten bekäme, Läden schließen und Angestellte entlassen müsste.

Kleinanleger haben sich vereint, um Hedgefonds das Handwerk zu legen 

Doch dann machten sich Börsen-Rebellen daran, diese so perverse wie übliche Praxis des Finanzmarkts zu bekämpfen. Tausende Kleinanleger sprachen sich auf Web-Plattformen wie Reddit und Discord ab, Aktien von "Gamestop" zu kaufen - um die Kurse so in die Höhe zu treiben und die Hedgefonds in Bedrängnis zu bringen. Und der Plan ging voll auf.

Ihre zahlreichen kleinen Käufe lösten einen Anstieg des Börsenkurses aus. Schon bald folgten Millionen weiterer Kleininvestoren dem Börsenhype und die "Gamestop"-Aktien stiegen und stiegen. Im vergangenen Jahr waren sie noch für weniger als drei Dollar zu haben - zuletzt schoss der Aktienwert bis weit über 150 Dollar.

Für die Hedgefonds, die auf die gegenteilige Kursentwicklung gesetzt hatten, ist das eine Katastrophe. Am meisten betroffen war das Unternehmen "Melvin Capital", das mit hohem Einsatz gegen "Gamestop" gewettet hatte. Es stand kurz vor der größten Hedgefond-Pleite seit den Neunzigern: Anfang der Woche musste es sich 2,75 Milliarden Dollar leihen.

Gebühren bei Aktienkäufen durch neue Wertpapierhandels-Anbieter gesunken

Möglich sind Guerilla-Aktionen wie bei "Gamestop", weil die Gebühren bei Aktienkäufen durch neue Wertpapierhandels-Anbieter wie der App Robinhood stark gesunken sind. So ist der Kauf von Aktien auch für viele junge Menschen möglich geworden.

Dass sich Kleinstanleger über Social Media absprechen, ist nichts Neues, in der Vergangenheit kauften sie etwa gemeinsam Aktien von Unternehmen wie dem Autovermieter Hertz. Aber erst durch das Extrembeispiel "Gamestop" erhält das Phänomen nun die ganz große Aufmerksamkeit. Mitte der Woche sprach das "Wall Street Journal" von einem "Krieg" zwischen Hedgefonds und den zigtausend "Gamestop"-Kleinanlegern. Diese setzen mit ihrer konzertierten Aktion freilich nicht nur die professionellen Zocker unter Druck, sondern machen auch selbst verhältnismäßig große Gewinne. Allein am Mittwoch ging die "Gamestop"-Aktie um 135 Prozent nach oben.

Doch dann schien der Börsenkrimi eine Wendung zugunsten der Hedgefonds zu nehmen: Die Aktien-App Robinhood und andere Börsenhandels-Plattformen schlugen sich auf deren Seite, am Donnerstag schlossen sie weitere "Gamestop"-Käufe aus. Sofort verlor die Aktie um 44 Prozent - und die Aktionäre tobten und sahen sich um ihre Gewinne gebracht.

Unterstützt wurden sie von Tesla-Chef Elon Musk, dem derzeit reichsten Mann der Welt: Der mokierte sich über Robinhood und bezeichnete die Praxis der Leerverkäufe als "Betrug". Am Donnerstag gab Robinhood die Gamestop-Aktien dann wieder frei - und das irre Auf und Ab ging weiter: Die Aktie stieg wieder um 70 Prozent. Mittlerweile ist das Unternehmen an der Börse natürlich extrem überbewertet.

Hedgefonds sollten sich genau überlegen, ob sie gegen Unternehmen wetten

Und "Gamestop" ist nur ein Beispiel neben anderen. Die Börsen-Rebellen sprangen auch anderen angeschlagenen Firmen bei: So stieg die Aktie der Kinokette AMC trotz Pandemie-bedingter Dauerschließung in diesem Jahr um irrwitzige 840 Prozent, die Aktie des eher gestrigen Handyherstellers Blackberry um fast 280 Prozent.

Die Börsenaufsicht und das US-Finanzministerium sind natürlich aufgeschreckt und beobachten die Lage. Börsen-nahe Experten verlangten, dass die Aufsichtsbehörden dem Treiben der Kleinstaktionäre ein Ende bereiten.

Umgekehrt könnte es zum Politikum werden, dass Robinhood den Aktienhandel zugunsten der Hedgefonds einschränkte. Es steht wohl eine größere Debatte um Regulierung bevor. Laut US-Medien plant die Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus, Maxine Waters, eine Anhörung. Dabei soll es um die Turbulenzen am Finanzmarkt und um die Rolle von Hedgefonds gehen. Auch andere ranghohe Politiker der demokratischen Partei wie Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez forderten Aufklärung. Vertreter der republikanischen Partei äußerten ebenfalls Unverständnis für Robinhoods Handeln.

Der künftige Vorsitzende des Bankenausschusses im US-Senat, Sherrod Brown, kündigte eine Anhörung "zum aktuellen Zustand des Aktienmarkts" an. Es sei an der Zeit dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniere, nicht nur für die Wall Street. "Die Leute an der Wall Street scheren sich nur um die Regeln, wenn sie diejenigen sind, denen es wehtut", hieß es in Browns Statement.

Die Börsen-Rebellen haben etwas in Bewegung gebracht - pünktlich nachdem der Wall Street-nahe Donald Trump das Weiße Haus verließ und die Demokraten den Senat eroberten. Und Hedgefonds sollten sich nun sehr genau überlegen, ob sie gegen Unternehmen wetten, egal wie schlecht diese dastehen. Denn vielleicht haben sie ja Tausende Unterstützer, die ihnen plötzlich zur Seite springen?

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