Bittere Worte zum Siemens-Drama
MÜNCHEN Enttäuschung, Triumph, Intrige – beim gestrigen Stabwechsel an der Siemens-Führungsspitze schienen ungute Emotionen durch. In einer Krisensitzung bestimmte der Aufsichtsrat Finanzvorstand Joe Kaeser zum Nachfolger von Peter Löscher.
In einer persönlichen Erklärung bedankte sich Löscher nach dem erzwungenen Abschied bei seinen Unterstützern. Er sei in den vergangenen Wochen zu dem Schluss gekommen „dass eine vertrauensvolle Basis für einen Verbleib an der Spitze der Siemens AG nicht mehr gegeben ist“ – ein Seitenhieb gegen Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der schon länger gegen Löscher stichelte und zuletzt aktiv den Rausschmiss des Österreichers betrieb.
Ziemlich spitz klangen allerdings auch die Worte des künftigen Vorstandschefs Joe Kaeser: „Wir haben uns zuletzt zu viel mit uns selbst beschäftigt und etwas die Ertragsdynamik verloren.“ Peter Löscher war ursprünglich nach München geholt worden, weil es die Investoren einem Siemens-Gewächs nicht zutrauten, mit den korrupten Machenschaften aufzuräumen.
Letztendlich scheiterte Löscher aber an internen Seilschaften – und an seinem eigenen Ehrgeiz: Ein Umsatzziel von 100 Milliarden Euro und Renditevorgaben über zwölf Prozent erfreuten zuerst die Anleger, dafür war der Ärger umso größer, als die Prognosen gekappt werden mussten.
Im aktuellen Umbruch wittert die IG Metall ihre Chance. Aufsichtsrat Jürgen Kerner setzt darauf, dass Kaeser sich besser als frühere Vorstandschefs mit den Gewerkschaftern abspricht. Während die Arbeitnehmervertreter bei Volkswagen oder bei BMW auch bei strategischen Entscheidungen mitreden, mussten sie sich bei Siemens bisher darauf beschränken, einigermaßen sozialverträgliche Regelungen für Beschäftigte auszuhandeln, deren Arbeitsplätze gestrichen wurden – das soll sich jetzt ändern. Als nächstes steht freilich die Diskussion über Noch-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme an – auch dessen Rolle im Siemens-Drama sehen viele Investoren kritisch.
Siemens-Aufsichtsrat im AZ-Interview: "Wir wollen künftig nicht erst reagieren, wenn das Management entscheidet"
Jürgen Kerner verlangt mehr Einfluss für die Beschäftigten bei dem Unternehmen
AZ: Wie wird die IG Metall gegen über dem neuen Vorstandschef ihr Gewicht geltend machen, damit es zu keinem neuerlichen Stellenabbau kommt?
JÜRGEN KERNER: Wir setzen darauf, dass wir mit dem neuen Vorstandschef frühzeitig, möglicherweise sogar früher, als dies bisher im Unternehmen der Fall war, ins Gespräch darüber kommen. Dass wir über die Erwartungshaltungen an die einzelnen Bereiche sprechen, darüber, wo sich Konflikte abzeichnen. Siemens hat noch über 100000 Beschäftigte in Deutschland, und das soll im Prinzip so bleiben.
Wie soll man sich diese bessere Kommunikation zwischen dem Siemens-Management und den Arbeitgebern vorstellen?
Wir sind nah an den über 100 Standorten in Deutschland. Wir beziehen unser Wissen von den Betriebsräten vor Ort. Nach der Urlaubszeit werden wir unsere Langfriststrategie 2020 forcieren und uns Gedanken darüber machen, in welche Richtung sich diese Standorte mittel- und langfristig entwickeln sollen. Diese Frage betrifft die Produkte, die Technologien, die Abläufe. Wir wollen künftig nicht erst reagieren, wenn das Management entscheidet – das wäre zu kurz gesprungen.
Das klingt fast nach einer engen Partnerschaft der Gewerkschaft mit dem Management wie bei Volkswagen. Joe Kaeser hat ja die Sparprogramme der Vergangenheit mitgetragen – was gibt Ihnen die Zuversicht, dass er so eine intensive Zusammenarbeit will?
Er kommt selbst aus dem Mobilfunk-Bereich, hat also miterlebt, wie sich Märkte verändern. Und er hat die alte – verkehrte – Unternehmenskommunikation miterlebt, die den Arbeitnehmervertretern bei Siemens nur einen Katzentisch zugewiesen hat. Ich denke, er wird es selbst zu schätzen wissen, wenn er Informationen aus den Standorten bekommt, die nicht wie früher durch dicke Lehmschichten gefiltert werden.
Wird Joe Kaeser denn die hohen Umsatz- und Renditeerwartungen ans Unternehmen, die Löscher formuliert hat, zurücknehmen?
Es wäre naiv, zu hoffen, dass er sie über Bord wirft. Wir werden darüber mit ihm auf Augenhöhe sprechen. Aus unserer Sicht war es ein großer Fehler, starre Ziele wie beispielsweise zwölf Prozent Rendite vorzugeben. Man hat ja gesehen, wie die Märkte darauf reagiert haben, als diese Prognosen nicht realisiert werden konnten. Auf einmal stand Siemens wie ein Sanierungsfall da – dabei hat das Unternehmen gerade die beiden erfolgreichsten Jahre seiner Unternehmensgeschichte hinter sich gebracht!
Es gab aber auch eine Menge Pannen – , beispielsweise bei den Windparks, beim Zukauf des Solarherstellers Solel, bei den ICEs für die Deutsche Bahn.
Aber 90 Prozent unserer Projekte laufen sehr gut, unsere Züge fahren in Spanien und Russland. Was sich ändern muss, ist die Kommunikation, sowohl nach außen als auch nach innen. Einmalige Fehler verzeihen Außenstehende und Mitarbeiter. Nur wenn sie sich wiederholen, schütteln sie den Kopf.