Besser als Internet
MÜNCHEN - Jetzt lästern wieder die Kulturpessimisten - aber zu Unrecht! Der AZ-Chefredakteur, Arno Makowsky, zum Public-Viewing-Spektakel in München
Es gibt Menschen, die wollen 5000 Euro für ein Ticket für das Champions-League-Finale in Madrid bezahlen. Gerne reisen sie dafür 20 Stunden lang mit dem Bus an, wenn sie keinen Platz mehr im AZ-Jet bekommen haben. Es gibt auch Leute – um genau zu sein: 70 000 – die am Samstag in die Allianz Arena pilgern, obwohl es dort weder Freibier gibt, noch auf dem Rasen Fußball gespielt wird. Nein, die 70 000 recken ihre Hälse zu den Anzeigetafeln, auf denen das Spiel übertragen wird. Man könnte es sich auch bequem zu Hause anschauen, trotzdem wird jede Kneipe überfüllt, jeder Bildschirm auf der Leopoldstraße umlagert sein.
Spinnen die alle? Natürlich, die Kulturpessimisten lästern jetzt wieder über die böse „Eventkultur“. Nicht das Ereignis selbst sei wichtig, so ihre These, sondern nur das Spektakel außenrum, das oberflächliche Erleben einer Pseudo-Gemeinschaft. Was für ein arroganter Blödsinn!
Noch vor wenigen Jahren beklagten dieselben Theoretiker den „rasenden Stillstand“ (so der Philosoph Paul Virilio) unserer Gegenwart: Das Internet führe dazu, dass alles gleichzeitig passiere, während sich die Menschen körperlich nicht zu bewegen brauchen. Jetzt bewegen sie sich wieder, trotz Internet, trotz Liveübertragung ins Wohnzimmer. Die Menschen wollen wieder selbst etwas spüren, etwas gemeinsam erleben. Was für ein Fortschritt!
Das Gefühl, mit tausenden Menschen über ein Tor zu jubeln, kann kein Liveticker und kein noch so brillantes HD-Fernsehbild ersetzen.
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