Berufskrankheit Stress

Ärzte haben oft einen Knochenjob: Bis zu 70 Stunden Arbeitszeit pro Woche sind normal. In der Klinik ist zudem Teamfähigkeit gefragt
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Im Arztberuf geht es nicht nur darum, jeden Tag Leben zu retten. Nach jeder Behandlung warten öde Aktenarbeit und Abrechnungen
az Im Arztberuf geht es nicht nur darum, jeden Tag Leben zu retten. Nach jeder Behandlung warten öde Aktenarbeit und Abrechnungen

BERLIN - Ärzte haben oft einen Knochenjob: Bis zu 70 Stunden Arbeitszeit pro Woche sind normal. In der Klinik ist zudem Teamfähigkeit gefragt

Morgens als Halbgott in Weiß durch die Visite schweben, nachmittags schon auf dem Golfplatz: So sieht das Klischee vom Ärztealltag aus. Die Realität bietet ein anderes Bild: Arbeit bis zum Anschlag, und Freizeit ist Luxus. Dafür ist eine Karriere als Arzt prestigeträchtig. Er liegt laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes auf Platz vier der angesehensten Berufe in Deutschland. Entsprechend hoch sind aber auch die Ansprüche: Ärzte müssen nicht nur fachlich Bescheid wissen, sie brauchen auch viel Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl.

Thomas Lipp klingt gestresst. In seiner Sprechstunde warten noch drei Patienten, sagt der Hausarzt aus Leipzig, der zum Gesamtvorstand des Hartmannbundes in Berlin gehört.

Eigentlich schließt die Praxis aber in 15 Minuten. 15 Minuten Zeit für drei Patienten? „Ja, und das ist jetzt noch Urlaubszeit.“ Schon der erste Eindruck zeigt: Stress ist eine Berufskrankheit der Mediziner. Sie haben viel zu tun. Auf 50 bis 70 Wochenstunden komme er im Schnitt, erzählt Lipp. Wer Arzt werden wolle, müsse belastbar sein.

Der Lohn dafür ist neben einem hohen Ansehen auch ein ansehnliches Gehalt: Ein Radiologe oder ein Internist verdient in einem kommunalen Krankenhaus nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg rund 4800 bis 6000 Euro brutto im Monat. „Das Schöne an der Arbeit ist aber auch die Dankbarkeit, die man empfängt“, sagt Günther Jonitz vom Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin. Anderen helfen zu wollen, sei daher das Hauptmotiv für den Beruf.

Die Heldenrolle des Arztes im Fernsehen vergessen angehende Mediziner aber besser schnell. „Krankenhausserien haben mit der Realität wenig zu tun“, meint Lipp. Vielmehr sei Teamfähigkeit gefragt, ergänzt Jonitz, der als Chirurg in Berlin arbeitet: „Im Krankenhaus ist kein Platz für Cowboys.“    Aus Sicht der Mediziner wird der Beruf zudem immer unattraktiver: Mehr als jeder zweite praktizierende Arzt in Deutschland (56 Prozent) sagt das einer Allensbach-Studie zufolge. Fast genauso viele (55 Prozent) würden Nachwuchskollegen sogar davon abraten, sich noch als Arzt niederzulassen.

Ohnehin scheint es für zahlreiche fertige Mediziner nicht mehr reizvoll, sich hierzulande in der Praxis oder im Krankenhaus um Patienten zu kümmern. Derzeit schlägt rund jeder fünfte Medizinabsolvent der Bundesärztekammer zufolge eine Weiterbildung zum Facharzt aus. Statt einer Karriere als praktizierender Arzt wandern sie lieber ins Ausland oder in andere Berufsbereiche ab.

Schuld daran ist der Praxis-Schock im Krankenhaus. Denn dort erwartet Absolventen ein Knochenjob, der sich wegen Nachtschichten und Überstunden auch schwer mit der Familie vereinbaren lässt. „Wenn um 17.30 Uhr noch ein Unfall reinkommt, können Sie schlecht sagen: 'Ich muss jetzt aber mein Kind von der Kita abholen'“, erläutert Lipp. Flexibel zu sein, ist daher ein Muss. „Wer Dienst nach Vorschrift machen will, ist da falsch.“    Frustrierend ist dabei für manche, dass es im Arztberuf nicht nur darum geht, jeden Tag Leben zu retten. Denn nach jeder Behandlung warten öde Aktenarbeit und Abrechnungen. „Ein Drittel der Zeit geht für Papierkram drauf“, erzählt Lipp. Und damit nicht genug: Wenn die Kasse eine Behandlung nicht mehr zahlen will, bekomme der Arzt auch noch den Ärger der Patienten ab, fügt Jonitz hinzu.

Hohe Hürden gibt es aber schon vor dem Berufseinstieg: Das Studium ist lang und schwer. Die Regelstudienzeit beträgt sechs Jahre und drei Monate. Schon in den ersten zwei Jahren im vorklinischen Teil werde stark gesiebt, sagt Jonitz. „Das ist die erste Dusche.“ Vor der Approbation wartet aber noch das „Hammerexamen“. Und damit ist die Ausbildung nicht vorbei: Bis zum Facharzt – etwa der Kinderheilkunde oder der Orthopädie – sind es noch einmal drei bis sechs Jahre.

Ob sich daran bald etwas ändern wird, ist derzeit kaum absehbar: Die Uni Oldenburg will jetzt zwar als erste in Deutschland einen Bachelor-Studiengang anbieten. Kritiker sehen das aber als Schmalspurstudium an – Institutionen wie die BÄK und der Marburger Bund sind daher gegen eine Umstellung. Daneben gibt es an einigen Hochschulen inzwischen Reformstudiengänge mit eigenen Konzepten.

Die Berufs-Chancen sind allerdings so gut wie lange nicht mehr: In manchen Regionen herrscht der BÄK zufolge schon jetzt akuter Ärztemangel.

Außerdem benötigten viele Ärzte hierzulande bald einen Nachfolger: Vier von zehn (38,5 Prozent) seien bereits mehr als 50 Jahre alt. Und durch die gestiegene Lebenserwartung der Deutschen werde der Ärztebedarf in Zukunft noch zusätzlich wachsen.

Tobias Schormann

(www.bundesaerztekammer.de, www.bvmd.de)  

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