Baustelle Pflege

Wo es hakt im deutschen Betreuungssystem und seiner Bezahlung – und was die große Koalition daran ändern will: Mehr Hilfe für Demenzkranke, mehr Möglichkeiten für Angehörige
von  az/dpa

BERLIN In einem Punkt sind sich alle einig: Im deutschen Pflegesystem besteht in vielen Punkten Handlungsbedarf. Die große Koalition hat auch vor, einiges zu tun. Den Sozialverbänden geht es allerdings nicht schnell genug.

Baustelle Demenz. Bisher zielt die Pflegeversicherung vor allem auf körperliche Gebrechen, Demenzkranke fallen weitgehend durchs Raster. Der Begriff „pflegebedürftig“ soll deswegen grundsätzlich neu definiert werden und künftig berücksichtigen, wie selbstständig jemand ist. Entsprechend soll die Eingruppierung in Pflegestufen – die entscheiden, wie viel Geld fließt – neu gefasst werden. Heute orientieren sie sich daran, wie viele Minuten Hilfe jemand beim Anziehen, Waschen oder Essen braucht. Die Umstellung der Kriterien, die Schulung der Gutachter wird aber Zeit brauchen; der Zeitpunkt, wann das neue System gilt, steht nicht fest. Eine Reform wird immer dringlicher, weil es – wegen der steigenden Lebenserwartung – immer mehr Demenzkranke gibt.

Baustelle Angehörige. Egal, ob der Betroffene körperlich oder mental beeinträchtigt ist – für pflegende Angehörige ist die Belastung enorm. Sie sollen etwas entlastet werden. So zahlt die Pflegekasse bisher vier Wochen pro Jahr einen Heimaufenthalt und vier Wochen einen ambulanten Dienst, etwa, wenn die Angehörigen Urlaub machen. Bisher verfallen die Leistungen oft, künftig soll man das Geld für einen nicht beanspruchten Heimaufenthalt auch für einen Pflegedienst verwenden können. Außerdem sollen die Möglichkeiten erweitert werden, dass zu bestimmten Tageszeiten eine Einrichtung die Pflege übernimmt.

Baustelle Arbeitsrecht. Heute schon können sich Angehörige bis zu sechs Monate unbezahlt, aber sozialversichert von der Arbeit freistellen lassen. Die so genannte Familienpflegezeit aber ist bisher für die Firmen freiwillig – künftig soll ein Rechtsanspruch geschaffen werden. Damit kann man die Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduzieren. Der Lohn wird nicht entsprechend gekürzt, sondern nur etwas – später, wenn die Pflegezeit vorbei ist und man wieder voll arbeitet, kriegt man aber weiter das reduzierte Gehalt, bis der Vorschuss abbezahlt ist. Wer Pflege daheim erstmalig organisieren muss, hat das Recht auf zehn Tage Auszeit – künftig gibt es dafür Lohnersatz.

Baustelle Personal. Auch bei den professionellen Helfern hakt es – es gibt viel zu wenige. Schwarz-Rot kündigt dazu im Koalitionsvertrag vage ein „Pflegeberufegesetz“ an. Und will „das Ehrenamt stärken“.

Baustelle Finanzen. Neue Leistungen kosten mehr Geld. Aber das immerhin ist schon beschlossen: Im ersten Schritt soll der Pflegebeitrag zum 1. Januar 2015 um 0,3 Punkte auf 2,05 Prozent (Kinderlose 2,3 Prozent) steigen. Im zweiten Schritt dann „vor den nächsten Wahlen“ um weitere 0,2 Punkte. Verbände halten die Reform für richtig, fragen sich aber, warum die konkrete Umsetzung so lange dauern soll. 

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