AZ-Serie: Hartz IV - Was läuft schief? - Her mit dem Mindestlohn!

Der neue Chef des DGB in Bayern fordert einheitliche Untergrenzen und: Menschen sollten nicht mehr gezwungen werden, ihre Arbeit unter Wert zu verkaufen.
Was braucht ein Mensch zum Leben? Wasser, Lebensmittel, eine Wohnung, Kleidung. Und was braucht ein Mensch für ein menschenwürdiges Leben? Bildung, soziale Kontakte, Zugang zu Kultur und Medien, kurz: die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Genau das meinte das Verfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen, als es feststellte: Auch Empfänger von Arbeitslosengeld II haben Anspruch auf ein „soziokulturelles Existenzminimum“. Mit anderen Worten: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
In nächtlichen Verhandlungen übermüdeter Politiker wurden 2004 die Hartz-IV-Sätze willkürlich festgesetzt. Dieser Willkür hat das Bundesverfassungsgericht ein Ende gesetzt. Bei der Neuregelung der Sätze muss der Gesetzgeber berücksichtigen, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben Geld kostet.
Hartz IV mit dem Regelsatz von 359 Euro führt zu sozialem Abstieg und Verarmung. Kinder erhalten je nach Alter 60 bis 80% des Regelsatzes für Erwachsene. Davon sind 2,13 Euro im Monat für Schulmaterialien. So wird in Stein gemeißelt, dass Kinder armer Eltern auch arm an Bildung bleiben. Weil sie sich keine Schulhefte, Schulausflüge und keinen Nachhilfeunterricht leisten können. Sie werden später mit großer Wahrscheinlichkeit selbst arme Eltern sein.
In Kenntnis dieser Fakten kommt nun der FDP-Vorsitzende Westerwelle daher und mault, dem Volk werde „anstrengungsloser Wohlstand“ versprochen. Ein Schlag ins Gesicht der Hartz-IV-Empfänger, die durch die Verschärfung der Zumutbarkeit fast jeden Job annehmen müssen. Ein unverfrorener Versuch, Arbeitslose gegen jene 1,36 Millionen Menschen auszuspielen, die für ihre harte Arbeit derartige Armutslöhne erhalten, dass sie auf zusätzliche Zahlungen des Staates angewiesen sind.
Bei diesen „Aufstockern“ greift das Lohnabstandsgebot nicht mehr, wonach diejenigen mehr Geld haben sollen, die arbeiten. Ausgelöst wurde das direkt durch Hartz IV: Die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien zwingt Menschen, ihre Arbeitskraft unter Wert anzubieten. Dadurch sind die Löhne gesunken und der Niedriglohnsektor ist enorm gewachsen.
Hartz IV animiert Arbeitgeber, die Löhne zu drücken. Nach dem Motto: Ihr kriegt von mir zwar wenig, aber holt Euch den Rest doch über Hartz IV.
Weite Teile der Regierung wollen Niedriglöhne und keinen Anstieg der Regelsätze. Aber sie wollen den Einkommensabstand zwischen Arbeitnehmern und Hartz-IV-Empfängern erhöhen. Das lässt nur den Schluss zu, dass sie eine Absenkung von Hartz IV anstreben und die Situation von Niedriglohnempfängern nicht verbessern wollen. Das Ergebnis wären noch mehr Menschen, die für Armutslöhne arbeiten, sich aber darüber freuen sollen, dass andere noch weniger haben.
Die Alternative der Gewerkschaften sieht so aus: Die Regelsätze erhöhen und flächendeckende existenzsichernde Mindestlöhne einführen. So wird jedem ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Und wer hart arbeitet, muss nicht mehr „aufstocken“.
Woher das Geld kommen soll? Die jährlich acht Milliarden Euro Steuergelder fürs „Aufstocken“ würden schon einmal frei werden.
Matthias Jena