AZ-Interview: "Dobrindt betreibt Pseudo-Aufklärung!"
AZ: Herr Kühn, VW hatte angekündigt, im Abgas-Skandal reinen Tisch machen zu wollen. Doch ausgerechnet eine US-Behörde deckt nun neue Manipulationen auf. Spielt VW nicht mit offenen Karten?
Stephan Kühn: Die ersten Enthüllungen im September waren wohl nur die Spitze des Eisbergs. Dass nur einige wenige Manager in den Betrug an Klima und Verbrauchern beteiligt waren, ist ein Märchen – das ganze hat offensichtlich System bei VW. Dem Konzern kann nur noch ein schonungsloses Offenlegen der Manipulationen helfen.
Die EU-Kommission will nationale Organe wie das KBA jetzt stärker überwachen.
Der Skandal wäre nie aufgedeckt worden, wenn nur deutsche Instanzen kontrolliert hätten. Das Frisieren von Abgaswerten war nur möglich, weil die Kontrollbehörden wie das Kraftfahrt-Bundesamt komplett versagt haben. Der EU-Vorschlag ist eine schallende Ohrfeige für Alexander Dobrindt. Wir brauchen eine wirtschaftsunabhängige europäische Typgenehmigungsbehörde. Bei der Typgenehmigung, wofür das KBA in Deutschland zuständig ist, hat niemand die Manipulationen bemerkt.
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... weil eine Überprüfung der Fahrzeugsoftware im Typgenehmigungsverfahren gar nicht verlangt wird.
Das Kraftfahrt-Bundesamt verstand unter Nachprüfung nur die Kontrolle der Herstellerunterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität. Überprüfungen durch Nachmessungen der Abgaswerte hat es nicht durchgeführt. Das KBA hat nicht einmal die technischen Voraussetzungen dafür, selbst wenn es das tun wollte. Man muss hier klar von einer „Kultur des Wegschauens“ sprechen.
Sind von gefälschten Angaben bei Verbrauchswerten auch andere Hersteller betroffen?
Verschiedene Studien legen das nahe. So kommt etwa eine ICCT-Untersuchung aus dem vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass der tatsächliche Verbrauch von Fahrzeugen um 38 Prozent über dem Normverbrauch liegt. Dabei klafft dieser Unterschied immer stärker auseinander. Auffällig ist, dass es gerade bei neu überarbeiteten Modellen oftmals zu einem sprunghaften Anstieg dieser Differenz kommt.
Viele kritisieren, dass Schummeleien bei CO2-Messungen schon seit Langem Usus sind. Sie gelten aber als rechtliche Grauzone. Wird der Kunde bewusst hinters Licht geführt?
Die Autobauer nutzen die vielen legalen Spielräume aus, die im Testprozess erlaubt sind. Bislang können etwa Prüfstandmessungen bei einer Umgebungstemperatur von 20 bis 30 Grad vorgenommen werden. Eine höhere Temperatur wirkt sich dabei vorteilhaft für die Hersteller aus, weil dann der Verbrauch niedriger ist.
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Und Kunden werden so über den tatsächlichen Sprit-Verbrauch getäuscht.
Wir brauchen daher Testverfahren ohne diese Schlupflöcher und vor allem Nachtests, ähnlich wie sie heute bereits in den USA üblich sind.
Auch Porsche gerät in den Skandal-Strudel. Dort war der neue VW-Boss Matthias Müller vorher Chef. Setzt VW hier auf den Falschen?
Müller muss jetzt die Vorwürfe der US-Behörde EPA aufklären und transparent seine Rolle als damals Verantwortlicher bei Porsche offenlegen. Wenn ihm das nicht gelingt, wird ein glaubwürdiger Neuanfang mit ihm nicht gelingen.
Auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) als selbst ernannter Chefermittler gerät in die Kritik.
Dobrindt betreibt doch Pseudoaufklärung. Auch beim Desaster um den Hauptstadtflughafen BER hat er eilig eine Taskforce gebildet...
...und wenn diese Untersuchungskommission zur VW-Affäre genau so erfolgreich arbeitet wie die zum BER...
...dann gute Nacht! Wir wollen endlich Zwischenergebnisse sehen und wissen, welche Folgerungen für die Verbesserung von behördlichen Kontrollen von Schadstoffgrenzwerten gezogen werden.