Aus für Diesel? - Experte: "Das geht zu weit"

Der Wirtschaftsexperte Markus Gürne spricht in der AZ über das mögliche Ende des Verbrennungsmotors, die Rolle der Politik im VW-Abgas-Skandal und „Made in Germany“.
München - Die Zukunft des Diesels und mögliche Wege aus der Krise für VW:Über diese und weitere Themen spricht Markus Gürne (44) in der AZ. Der Schwabe leitet die ARD-Börsenredaktion und moderiert das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus.
AZ: Herr Gürne, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat gestern den Rückruf von 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeugen angekündigt. Traut das KBA dem VW-Konzern die Krisenbewältigung nicht alleine zu?
Markus Gürne: Das ist eher eine Vorsichtsmaßnahme. VW hatte ja angeboten, quasi freiwillig den Rückruf in die Wege zu leiten. Das KBA will jetzt nur sichergehen, dass das auch wirklich für alle betroffenen Fahrzeuge so geschieht. Es klingt formal deutlich härter, als es am Ende gemeint ist.
Verkehrsminister Dobrindt schickte schon vor Wochen Kontrolleure nach Wolfsburg. Hat die Politik der Autoindustrie zu lange zu wenig auf die Finger geschaut?
Der Verdacht drängt sich auf. Entscheidend aber ist, dass die deutsche Autoindustrie entschieden hat, den Diesel sauber zu machen. Das ist halt mit enormen Kosten verbunden. Anscheinend mit zu hohen, wie wir nun sehen. Nur so ist zu erklären, dass es zu kriminellen Machenschaften gekommen ist. Den Fehler sehe ich nicht bei der Politik.
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Müssen jetzt realistischere und schärfere Abgastests her?
Absolut. Hier ist eine Menge Luft nach oben. Schauen Sie: Wer etwa beim Kauf seines Wagens die Verbrauchswerte im Werbeprospekt betrachtet, wird merken, dass er solche Zahlen im normalen Fahrbetrieb nie erreicht. Autohersteller und der Gesetzgeber müssen sich jetzt ehrlich machen – und zwar auf breiter Front.
... und wieder das nach oben bringen, was sie weltweit stark macht.
Das ist genau die neue Chance, die sich nun bietet. Qualität, Zuverlässigkeit, Sicherheit: Diese drei Faktoren zeichnen die deutsche Autoindustrie aus. Wenn diese Standards aber nicht mehr gelten, wird es nicht nur für die Autohersteller schwierig. Die Konkurrenz, vor allem aus Fernost, schläft nicht. Das angekratzte Image „Made in Germany“ muss aufpoliert werden. Das sollte nicht nur im Sinne der Autobauer sein.
Viele Umweltschützer fordern nun das Aus für Diesel.
Auf einmal Millionen Diesel-Wagen aus dem Verkehr zu ziehen? Das ist doch praktisch nicht umsetzbar. Der Gedanke geht zu weit.
Aber wäre das für VW nicht der richtige Schritt?
VW muss sich neu erfinden, innovativ bleiben. Um den Elektroantrieb wird der Konzern jetzt nicht herumkommen. Damit kann er das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen. Dazu gehört auch die schonungslose Aufarbeitung der Manipulationen.
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Setzen die Autobauer mit den Verbrennungsarten Benzin und Diesel aufs falsche Pferd?
Man sieht doch an Tesla, dass Elektroantrieb funktioniert. Ich frage mich, wieso es kein deutscher Hersteller schafft, ein Auto mit 500 Kilometer Reichweite im Programm zu haben. Noch ein Beispiel: Auf der IAA in Frankfurt steht ein Brennstoffzellenauto von Toyota – aber kein deutsches, das einigermaßen konkurrenzfähig ist. Das kann es nicht sein.
Da ist aber auch die Politik gefordert.
Sie muss klar Stellung beziehen und sagen, dass eine Alternative zum Verbrennungsmotor her muss – und zwar schnell.