Atomkonzerne pochen auf Milliarden-Schadensersatz
Karlsruhe - Die großen Energiekonzerne haben vor dem Bundesverfassungsgericht ihren Anspruch auf Schadensersatz in Milliardenhöhe für den deutschen Atomausstieg untermauert.
Die Lasten dieser politischen Entscheidung müssten solidarisch von der gesamten Gesellschaft getragen werden, forderte Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen in Karlsruhe zum Auftakt der zweitägigen Verhandlung. "Es geht am Ende um eine faire Entschädigung."
Deutschlands größte Energieunternehmen Eon und RWE sowie der schwedische Staatskonzern Vattenfall sehen sich durch die Kehrtwende der Bundesregierung in der Atompolitik 2011 faktisch enteignet. Der vierte große Versorger EnBW teilt nach eigener Darstellung diese Rechtsauffassung, klagt aber nicht selbst, weil er zu mehr als 98 Prozent in öffentlicher Hand ist. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verteidigte den beschleunigten Atomausstieg hingegen.
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Neubewertung der Atomkraft
Unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung eine erst im Vorjahr beschlossene Laufzeitverlängerung rückgängig gemacht. Im Atomgesetz schrieben Union und FDP den Konzernen vor, zu welchen Terminen bis spätestens 2022 sie ihre 17 Meiler vom Netz nehmen müssen. Acht überwiegend ältere Meiler durften überhaupt nicht mehr hochgefahren werden. (Az. 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12 und 1 BvR 1456/12)
Der Vorstandschef der RWE Power AG, Matthias Hartung, betonte, dass der Gesetzgeber natürlich eine Neubewertung der Atomkraft vornehmen könne. Er müsse sich dabei aber im Rahmen des Grundgesetzes bewegen.
Umweltministerin Hendricks wies die Vorwürfe zurück. "Gerade auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen kontroversen gesellschaftlichen Diskussionen konnte es ein "Weiter so" nicht geben", sagte sie.
Außergerichtliche Einigung möglich
Sollte der erste Senat unter Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof den Unternehmen Recht geben, könnten sie im zweiten Schritt auf Schadensersatz klagen. Allerdings verhandeln die Konzerne derzeit mit der Bundesregierung über die Verteilung der gewaltigen Kosten und Risiken beim Abriss der Kraftwerke und der Lagerung des Atommülls. Für ein Entgegenkommen verlangt Berlin die Rücknahme aller Klagen.
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es zu einer außergerichtlichen Einigung kommt. Bis zu einem Urteil dürften Monate vergehen.
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Die Richter haben zu klären, ob die Kürzung der Reststrommengen und das Erlöschen der Betriebsgenehmigungen die Konzerne in ihrem Grundrecht auf Eigentum verletzt. Je nach Charakter des Eingriffs leitet sich daraus nicht unbedingt eine Entschädigungspflicht ab. Der Senat prüft auch den Vorwurf der Versorger, dass die Abschalttermine rein zufällig festgelegt worden seien.
Vattenfall als Sonderfall
Eine Sonderrolle spielt Vattenfall: Hier ist unklar, ob ein ausländisches Staatsunternehmen in Deutschland überhaupt Grundrechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Gegen den Atomausstieg laufen bundesweit um die zwei Dutzend weitere Klagen, die sich gegen das Moratorium unmittelbar nach dem GAU in Fukushima richten. Damit wurden die vorwiegend älteren Blöcke zur "Gefahrenabwehr" zunächst für drei Monate stillgelegt. Vattenfall klagt außerdem vor einem Schiedsgericht in den USA auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz. Dort soll im Herbst 2016 verhandelt werden.
Im Kraftwerk Fukushima war es nach einem Erdbeben und einem Tsunami am 11. März 2011 zu Kernschmelzen gekommen. Insgesamt forderte die Naturkatastrophe fast 19 000 Todesopfer. Vor dem Gericht in Karlsruhe demonstrierten Aktivisten für ein sofortiges Aus der Atomkraft.