Angst vorm nächsten Börsenjojo
NEW YORK - Der Kurssturz an der Wall Street zeigt: Gegen die Computersysteme sind Menschen im schlimmsten Fall machtlos. Ausverkauf an der New Yorker Börse: War es ein Tippfehler oder die Bilder aus Griechenland?
War es tatsächlich nur ein Tippfehler? Oder lösten die Fernsehbilder von Krawallen in Griechenland den Ausverkauf an der New Yorker Börse aus? Nach dem Kurs-Jojo vom Donnerstag ist die Unsicherheit groß.
Binnen Minuten hatte der Dow Jones Index fast 1000 Punkte oder gut neun Prozent verloren. Einige Aktien gaben zeitweise um 90 Prozent nach. Allerdings setzte die Gegenbewegung rasch ein. Zum Handelsschluss stand der Dow Jones nur gut drei Prozent unter dem Vortagesschluss. Am Freitag ging es turbulent weiter: Der Tokioter Nikkei-Index sank um 3,1 Prozent auf den tiefsten Stand seit zwei Monaten, die japanische Notenbank pumpte zwei Billionen Yen (17 Milliarden Euro) in die Geldmärkte, der Dax bröckelte etwas.
Am Freitag wurden Forderungen nach einer Begrenzung des automatischen Computerhandels laut. Er steht in den USA für rund 40 Prozent der Börsengeschäfte, in Europa für knapp ein Drittel. „Die Systeme suchen ständig nach Auffälligkeiten im Aktienhandel“, sagte Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim, zur AZ. Möglicherweise habe tatsächlich ein Händler bei einer Order aus Versehen „billion“ (englisch für Milliarde) statt „million“ (Million) eingegeben. Die Computer hätten diesen Ausreißer als Informations-Vorsprung deuten können: Da weiß jemand etwas, was die anderen noch nicht wissen.
Die Folge für den Rechner: Er hängt sich an den vermeintlichen Trend, verkauft selbst Aktien – und zwar nicht nur einen Wert, denn: „Innerhalb von Millisekunden rechnet das System mögliche Zusammenhänge mit anderen Titeln durch und verkauft auch sie“, so Burghof. Das kann heißen, dass gleich die Werte einer gesamten Branche auf den Markt geworfen werden. Gegen diesen Mechanismus anzukämpfen, ist unmöglich: „Das ist wie Squash gegen den Computer.“
Immerhin stutzten einige Börsianer, stellten ihren Handel ein. Dies – und die Nervosität wegen der Griechenland-Krise – verstärkten den Trend allerdings noch. Weil manche Werte nicht mehr gekauft werden konnten, stürzten ihre Kurse erst recht ins Bodenlose. Mensch und Maschine zogen gemeinsam am verkehrten Strang.
Auch im deutschen Aktienhandel mischt der Computer mit. Allerdings schaltet das Frankfurter Xetra-System bei groben Auffälligkeiten den Handel mit einer Aktie automatisch für ein paar Minuten ab. Noch sicherer ist der Handel im Max-One-System der Bayerischen Börse. „Wenn ein Anleger bei uns beispielsweise 723610 - die Wertpapierkennziffer für die Siemens-Aktie – anstelle der Stückzahl eingibt, macht das System zunächst gar nichts“, sagt Manfred Schmid, der Leiter der Marktsteuerung. Erst nach Rücksprache mit dem Anleger wird die Order doch ausgeführt – oder annulliert.
Auch die New Yorker Börse verspricht eine automatische Handelsunterbrechung, allerdings erst bei Verlusten ab 1050 Punkten – so weit sackten die Kurse am Donnerstag nicht ab. Etliche Marktteilnehmer dürften von der abrupten Erholung profitiert haben. Wer? „In so einer Situation ist es Zufall, wer gewinnt oder verliert“, sagt Burghof. sun
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