Alles wieder offen
Schlafwagen-Wahlkampf klappt eben doch nicht – immerhin. AZ-Redakteurin Anja Timmermann über Wahlumfragen und ihre Folgen
Wer hätte gedacht, das die Wahl noch derart spannend wird. Und wer hätte gedacht, dass – genau wie 2005 – der haushohe schwarz-gelbe Vorsprung bis zum Wahltag derart in sich zusammenbricht. Ob nun aus Schwäche der Union oder aus Stärke der SPD, mag jeder selbst entscheiden.
Wobei das Spannende nicht die Frage ist, wer im Kanzleramt regiert – das dürfte wohl Bundeskanzlerin Angela Merkel sein. Sondern die Frage, auf die sich der Last-Minute- Kampf nun zuspitzt: Schwarz-Gelb oder nicht? Denn auch im linken Lager wächst die Einsicht, dass es für einen Kanzler Steinmeier wohl nicht reicht: Bei Rot-Rot-Grün macht er nicht mit; bei der Ampel Westerwelle nicht. Aber dann wenigstens Schwarz-Gelb verhindern – exemplarisch dafür die IG-Metall-Kampagne, die gestern unter diesem Motto gestartet wurde.
Und der Kampf ist tatsächlich wieder völlig offen. Die Umfragen tragen selbst dazu bei: Eigentlich müsste die Union von der neuen Knappheit profitieren, weil das ihre vorher vielleicht zu siegesgewissen Anhänger aufrüttelt und mobilisiert. Aber: Bei dieser Wahl, das sagen alle Meinungsforscher, hat die Union ihr Potenzial bereits ausgeschöpft. Wer sie wählen will, hat sich längst dazu entschieden. Das Reservoir der Unschlüssigen besteht vor allem aus früheren resignierten SPD-Wählern. Und einige von denen könnte die neue Stoppt-Schwarz-Gelb-Perspektive doch noch an die Urne treiben.
Dem Land jedenfalls schadet die Spannung nicht. Allein schon deswegen, weil ein Wahlkampf-Verweigerungs-Wahlkampf eben doch nicht belohnt wird.