Änderungsbedürftig
Ein Armutszeugnis für unser bestehendes Sozialsystem: Georg Thanscheidt, Vize-Chefredakteur der AZ, über das heutige Hartz-IV-Urteil
Verstoßen die Hartz-IV-Regelsätze gegen die Menschenwürde? Diese schwierige Frage muss heute das Bundesverfassungsgericht beantworten – und vieles spricht dafür, dass die Juristen bei den Sätzen für Kinder, die zwischen 215 und 287 Euro erhalten, vom Gesetzgeber Änderungen einfordern werden.
Das muss nicht heißen, dass alle bedürftigen Kinder künftig mehr Geld bekommen – wird die Berechnungsgrundlage geändert, könnte dies auch dazu führen, dass die Sätze für bestimmte Altersgruppen sinken, während sie für andere steigen. Das haben bereits Berechnungen des Sozialministeriums ergeben.
Dabei sind die Probleme von Alleinerziehenden und Eltern, die Hartz IV beziehen, im Kern keine statistischen: Sicher, das Geld ist knapp und eventuell auch zu knapp kalkuliert. Ihre Hauptprobleme sind – abgesehen von wenigen Missbrauchsfällen – andere: Sie finden keine Arbeit. Wenn sie Arbeit finden, ist unklar, wer sich umdie Kinder kümmert. Wenn sie doch Arbeit annehmen, wird diese oft so gering entlohnt, dass es „vernünftiger“ wäre, daheim zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern.
Ein Beispiel: Ein Ehepaar mit zwei Kindern, bei dem ein Partner als Landschaftsgärtner arbeitet, hat mit Kindergeld 1805 Euro im Monat zur Verfügung – würde die Familie Hartz IV beziehen, wären es nur 150 Euro weniger. Wer geht dafür schon freiwillig 40 Stunden arbeiten? Das ist ein Armutszeugnis für das bestehende Sozialsystem. Nicht nur, dass es kein menschenwürdiges Dasein erlaubt. Es zementiert Bedürftigkeit, ist ungerecht und teuer.
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