3,2 Prozent mehr Gehalt für die Arbeiter
Hannover – Bei Volkswagen läuft derzeit alles rund. Das Geschäft floriert, die Kasse ist gut gefüllt. Jetzt kriegen die Arbeiter auch ein Stück vom Kuchen ab.
Es ist nicht so groß wie gefordert, aber immerhin etwas größer als in der Branche üblich. Die dritte Verhandlungsrunde brachte den Durchbruch: Die Tarifpartner bei Volkswagen einigten sich in der Nacht zum Dienstag auf einen neuen Haustarif. Abgesehen von den üblichen Ritualen gingen die Verhandlungen nahezu geräuschlos über die Bühne – keine Drohgebärden, lautstarken Wortgefechte oder anderen Muskelspiele.
Beiden Seiten dürfte klar gewesen sein: Angesichts der ehrgeizigen Ziele des VW-Konzerns kommt es darauf an, den Aufschwung in der Autobranche zu nutzen. Störmanöver und langes Gezerre in Tarifverhandlungen passen da nicht ins Bild. Die rund 100 000 VW-Beschäftigten der sechs westdeutschen Werke und der Finanzsparte bekommen nach dem Tarifkompromiss vom 1. Mai an 3,2 Prozent mehr Geld – und zusätzlich eine Einmalzahlung von einem Prozent ihres Jahresgehalts.
Beide Seiten bewerten das Ergebnis als fair. Es ist nicht so hoch wie von der IG Metall gefordert, aber immerhin höher als im Branchentarifvertrag vorgesehen. Die IG Metall war mit einer Forderung von sechs Prozent mehr Lohn für 12 Monate in die Verhandlungen gegangen. Die Arbeitgeberseite hatte zuletzt 2,9 Prozent plus Einmalzahlung für 23 Monate angeboten. Der Autoexperte der NordLB, Frank Schwope, meinte, der Abschluss könne Symbolcharakter für die gesamte Autobranche besitzen. Ähnliche Ergebnisse bei anderen Herstellern und Zulieferern wären auch wegen der zuletzt vergleichsweise hohen Inflationsraten nicht verwunderlich.
Die überraschend schnelle Einigung komme VW gelegen. Mit Blick auf knappe Kapazitäten und monatelange Lieferzeiten bei verschiedenen Modellen hätten zähe Verhandlungen oder Arbeitskämpfe den Aufschwung beeinträchtigen können. Denn Volkswagen will bis spätestens 2018 von Platz drei an die Spitze der größten Autobauer der Welt vorrücken und Toyota vom Thron stoßen. Zehn Millionen Autos will der Konzern dann weltweit verkaufen. VW hat sich dazu nicht nur ein jährliches Absatzwachstum von fünf Prozent vorgenommen. Auch konsequentes Kostenbewusstsein gehört zum Kurs von VW-Chef Martin Winterkorn.
Gerne hebt Winterkorn aber hervor, dass auch dies zu den ausdrücklichen Zielen seiner „Strategie 2018“ gehöre: „Wir wollen die besten und zufriedensten Mitarbeiter.“ Denn mit nörgelnden Arbeitern, die sich ungerecht behandelt fühlen, würde der Aufstieg zur Nummer eins zumindest erschwert. Volkswagen erlebt aktuell eine Zeit der Superlative. In den deutschen Fabriken gibt es Überstunden und Sonderschichten. Die Zulieferer kamen mit der Teilelieferung zeitweilig schon gar nicht mehr hinterher. Im vergangenen Jahr erzielte der Konzern einen Absatzrekord von über sieben Millionen Autos. Die Kasse ist gut gefüllt, es werden hohe Gewinne erwartet. Da kam es der IG Metall darauf an, ein Stück vom Kuchen für die Belegschaft zu fordern. Es müsse schon ein bisschen mehr drin sein als in der Branche.
Für das Management war es vor allem wichtig, dass die Grundvergütung nicht übermäßig steigt. Denn damit würde der Abstand zum Flächentarif zementiert – ein Nachteil bei den Personalkosten gegenüber Konkurrenten wie Ford, Opel und Co., die nach dem Branchentarif zahlen. Die – früher ziemlich große – Differenz zwischen VW-Haustarif und der branchenüblichen Bezahlung war erst 2006 mit der Rückkehr zur Fünf-Tage-Woche bei VW verringert worden. Eine erneute Spreizung will die VW-Personalspitze auf jeden Fall verhindern. Zum Schluss zeigten sich beide Seiten aber zufrieden. Allerdings ist das Verhältnis von Arbeitgeber und Belegschaft bei Volkswagen traditionell weniger von Klassenkampf als von Harmonie geprägt.