So schützen Sie sich vor einem Shitstorm
Jetzt hat es Helene Fischer doch noch erwischt. Lange Zeit war man ja der Annahme, die singende Lichtgestalt sei immun gegen all zu laute Unmutsäußerungen aus dem Web, doch nach einem einigermaßen missglückten Werbespot war es dann soweit: Shitstorm gegen Helene Fischer! Die digitale Schlechtwetterfront macht eben vor keinem Promi halt.
Es kann jeden erwischen! Sehen Sie hier auf MyVideo einen Beitrag über die Macht der Shitstorms
Wie man sich im Fall der Fälle vor dem aufziehenden Sturm in Sicherheit bringt, weiß "Digital-Therapeutin" Anitra Eggler. Deren Bücher heißen "E-Mail macht dumm, krank und arm" und "Facebook macht blöd, blind und erfolglos". Doch anders, als es die Titel vermuten lassen, verweigert sich Eggler den modernen Kommunikationsmitteln und dem Internet nicht. Sie nutzt die technischen Möglichkeiten nur cleverer als die meisten Menschen, weshalb sie eine gefragte Rednerin an Hochschulen und in Unternehmen ist.
Frau Eggler, warum regen sich die Menschen im Internet, sei es in den sozialen Netzwerken oder mittels Kommentarfunktion unter Artikeln, eigentlich über alles und jeden so auf?
Eggler: So ist der Mensch. Ich glaube nicht, dass sich die Empörungskultur verändert hat. Shitstorms hätte es auch vor 20 Jahren gegeben. Das Internet bedient das Niedrige im Menschen. Wenn einer anfängt, Steine zu werfen, dann machen andere gerne mit. Erst recht, unter dem Schutz vermeintlicher Anonymität. Der Mensch lästert gerne oder ist neidisch auf diejenigen, die im Rampenlicht stehen - und in den sozialen Netzwerken kann er sich auf niedrigstem Niveau auskotzen und den betreffenden Leuten richtig seine Meinung geigen. In den meisten Fällen würden das die Menschen den Betroffenen nie selbst ins Gesicht sagen. Es ist ein bisschen wie im Krieg: Wenn die Gesetze und Normen fallen und die Leute das Gefühl haben, für Fehlverhalten nicht mehr bestraft zu werden, dann morden und vergewaltigen sie, bis es knallt. Im Internet herrscht - wenn man es pessimistisch sehen möchte - genau dieser Zustand.
Wie lässt sich das ändern?
Eggler: Ich fürchte gar nicht. Wie gesagt, es liegt in der Natur des Menschen, sich aufzuregen. Ein Mittel ist, der Empörung keine Bühne mehr zu geben. Die "Süddeutsche Zeitung" hat erst Anfang September erklärt, ihre Kommentarfunktion fast gänzlich zu schließen, andere Zeitungen ziehen nach. Ich kann es auch verstehen: Offenbar sitzen die Leute wirklich in ihren Büros und kommentieren jeden Reissack, der umfällt. Das ist nicht mehr als inhaltliche Umweltverschmutzung. Warum sollte sich eine Redaktion damit auseinandersetzen? Es ist furchtbar, was man heutzutage aushalten muss, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Soviel Hornhaut kann man gar nicht auf seinen Nerven haben.
Ab wann kann man überhaupt von einem Shitstorm sprechen?
Eggler: Shitstorm ist ein inflationäres Modewort geworden, fast wie Burnout. Daher muss man nicht immer, wenn es ein bisschen nach Klo riecht, gleich ,Shitstorm' schreien. Das gilt vor allem für die Medien. Ich würde sagen, dass man den Begriff ab 10.000 kritischen Kommentaren verwenden kann. Alles andere ist aufgebauscht. Manchmal ist so ein Shitstorm ja auch sinnvoll. Empörung ist ja nicht immer falsch, sondern kann auch ein positives, demokratisches Regulativ sein. "Bild"-Chef Kai Diekmann hat sich etwa zuletzt auf Twitter von einem antiislamischen Kommentar in der "Bild am Sonntag" und dessen Autor distanziert. Aber ohne beleidigend zu werden.
Gibt es Themen, die man auf Facebook oder Twitter gar nicht erst ansprechen sollte?
Eggler: Man kann einen Shitstorm dafür abbekommen, dass man gelbe Socken trägt. Wenn man dem radikalen Flügel bestimmter Interessensgruppen in die Finger kommt, hat man immer ein Problem. Politik, Religion, Tierschutz und Fußball sind natürlich Reizthemen, bei denen es schnell unter die Gürtellinie geht. Aber man kann auch blöde Kommentare für ein ganz normales Foto bekommen.
Helene Fischer wurde zuletzt für einen Werbespot rund gemacht.
Eggler: Falsch. In Wirklichkeit haben sich die Leute über die Unkreativität der österreichischen Volkswagengruppe und den vielleicht dämlichsten Werbespot aller Zeiten aufgeregt. Weil Helene Fischer aber immer ein Klickbringer ist, nehmen es die Medien auf und schreien: Shitstorm gegen Helene Fischer! Dabei haben sich in diesem konkreten Fall die Fans eher vor ihre geliebte Helene gestellt und auf VW geschimpft. Also, auch die Medien sind Teil des Shitstorm-Systems. Das spielt auch denen in die Karten, die auf ein bisschen Aufmerksamkeit aus sind.
Sie meinen, es gibt Leute, die einen Shitstorm bewusst provozieren?
Eggler: Klar. Es gibt genug B- und C-Prominente, die sich einen Shitstorm haben andichten lassen, um in die Schlagzeilen zu kommen. Empörung lässt sich auch kaufen. Ich kenne einen Fall, in dem eine Band kurz vor der Veröffentlichung eines neuen Albums einen ziemlich gekünstelten Shitstorm auf ihrer Facebook-Seite hatte. Da haben sich zwei, drei Trolle aufgeregt, die Medien haben darüber berichtet und dann war wieder Ruhe. Den Verkaufszahlen hat das sicher nicht geschadet.
Was tun, wenn einem erst einmal der Sturm um die Ohren fliegt?
Eggler: Als Betroffener, das gilt für Unternehmen wie für Promis, darf man erst reagieren, wenn man selbst emotional wieder so kalt ist, dass man ein Bier auf sich abstellen könnte. Das ist schwer genug, schließlich greifen einen die Leute in der Regel auf einer sehr persönlichen und verletzenden Ebene an. Hat man sich abgeregt, kann man auf einer sehr sachlichen Ebene reagieren. Auf keinen Fall sollte man zurück argumentieren, eigene Fehler leugnen oder sich verteidigen. Stattdessen besser tatsächlich ganz bewusst Schwäche zeigen. Die gute Nachricht ist: Manchmal hilft es auch, einfach gar nichts zu tun. Nur weil es ein bisschen streng riecht, muss man nicht gleich aus dem Güllewagen zurückschießen. Hat man tatsächlich eine breite und treue Fanbasis, dann reinigt die Community sich selber. Und wenn es wirklich übel und ätzend wird: Ruhig auch mal juristische Schritte einleiten.
Gibt es Promis, die besser ganz die Finger von Social Media lassen sollten?
Eggler: Klar. Die US-Fraktion ist zum Beispiel sehr schmerzfrei, da kann ich nur den Kopf schütteln. Kim Kardashian und Co. posten ja sogar aus dem Kreissaal. Suboptimal hat sich in meinen Augen zuletzt auch Heidi Klum präsentiert. Die hat ihre Marke so toll aufgebaut, muss sie dann mit 41 Jahren wirklich anfangen, irgendwelche pubertierenden Fotos zu posten, auf denen sie mit ihrem neuen Lover kuschelt? Das passt nicht, das hat sie nicht nötig. Generell wäre es ratsam, sein ,Post-Shit-Radar' anzuwerfen: Also erst mal checken, was man posten will und warum und welche Folgen das haben könnte. Aber das machen leider die wenigsten. Konstantin Wecker zum Beispiel hat eine richtig tolle Facebook-Seite. Er spricht dort viele Themen an, die eigentlich prädestiniert sind, um Stress mit den Usern zu bekommen. Aber er moderiert das so gut, dass sogar sachliche Diskussionen über den Ukraine-Russland-Konflikt möglich sind.