Shareconomy: Teilen statt kaufen

Die Computerbranche entdeckt die soziale Dimension des Internets. Wie Carsharing oder Wohnungsbörsen das Wirtschaftsleben verändern.  
Matthias Maus |
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Carsharing Zebramobil in München
Gregor Feindt Carsharing Zebramobil in München

Die Computerbranche entdeckt die soziale Dimension des Internets. Wie Carsharing oder Wohnungsbörsen das Wirtschaftsleben verändern.

Hannover - Immer kleinere Handys, immer flache Schirme, das lockt niemand mehr auf die „Cebit“. Die größte Computer-Fachmesse der Welt hat sich tatsächlich ein „soziales“ Thema zum Motto gewählt: „Shareconomy“. Kurz gesagt: Verdienen durch teilen. Doch was steckt dahinter?

Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich auf ihrem traditionellen Messerundgang wieder mit Handys, darunter einem angeblich total abhörsicheren. Es gab auch die winzigen Chips und die biegbaren Solarmodule. Das sollte aber nicht der Mittelpunkt sei. Die CeBIT erklärt in diesem Jahr das Teilen von Produkten und Ressourcen mit Hilfe des Internets zum Top-Thema unter dem Motto „Shareconomy“.

Merkel warb in ihrer Rede vor rund 2500 Gästen dafür, den rasanten Wandel in der IT-Welt mit dem richtigen politischen Rahmen zu unterstützen, um global den Anschluss nicht zu verpassen. Vielversprechende Ideen müssten besser gefördert werden. „Wir müssen aufpassen, dass wir eine wirkliche Gründungskultur entwickeln. Das sage ich nicht nur für Deutschland, sondern das sage ich für die gesamte Europäische Union“, betonte Merkel. Es sei zuletzt viel für die Rettung des Euro getan worden, nun müsse die Konjunktur wieder anspringen. „Wir haben noch nicht ganz die Antwort, wo soll das Wachstum denn genau herkommen. Die IT-Branche ist mit Sicherheit eine Möglichkeit“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Sie sprach sich für bessere Gründungsbedingungen und für weniger Bürokratie aus für Firmen, die Innovationen vorantreiben wollten. Die Cebit-Macher tragen einer neuen Realität Rechnung. Ohne Internet geht fast gar nichts mehr, und für 97 Prozent aller 14 - bis 29-Jährigen ist es absolut selbstverständlich, im Netz Wissen oder Erfahrungen zu teilen. Längst ist das Internet auch Marktplatz, es ist Tauschbörse und Leihhaus.

„Carsharing“, Vermittlung von Privatwohnungen, von Dienstleistungen und Alltagsgegenständen laufen heute übers Netz und verändern das Wirtschaftsleben und die Kultur. Dazu kommen noch Phänome wie „Schwarmfinanzierung oder „Crowdsourcing“. Auch Unternehmen „leihen sich“ Speicherplatz (Stichwort „Cloud“) oder lagern IT-Leistungen aus. „Das Teilen von Informationen und Mitteln wird in Zeiten knapper Rohstoffe zu einer zentralen Fragestellung“, schreiben die Cebit-Macher.

 

Sharing - so geht's

 

WERKZEUG: Wie oft braucht man einen Akkuschrauber für 100 Euro? Einmal in fünf Jahren? Dann doch lieber ausleihen. Bei „Verleihnix.de“ beispielsweise gibt’s den Akku-Bohrschrauber für 15 Euro am Tag. Kurze Voranmeldung im Netz, dort erfährt man den nächsten Standort. Mit dem Personalausweis und einer Kaution (mindestens 50 Euro) kann man die Maschine abholen.

Wer zwei linke Hände hat und die Maschine samt Fachmann sucht, findet beispielsweise bei „Myhammer.de“ einen Handwerker, angeblich alle „profiliert, also qualifiziert“.

Hier geht' s zu den Webseiten: verleihnix.de und myhammer.de.

 

 

WOHNUNG: Von der Couch in der Großstadt bis zur Villa am Meer: Wohnungstauschbörsen sind ein großes Geschäft. Unternehmen wie 9flats.com vermitteln alles auf Zeit und kassieren 15 Prozent Makler-Provision vom Mieter. Das unterscheidet Portale wie 9flats.com von normalen Ferienhausvermittlern, die vom Anbieter bis zu 200 Euro für die Annonce berechnen. Für die Anbieter ist der Dienst kostenlos.

Vorreiter der Bettenvermittlung ist Couchsurfing.org, das seit 2003 vor allem junge Leute anzieht. Es kostet nichts, man stellt ein Profil ins Netz und hofft darauf, dass der Anbieter ein angenehmer Zeitgenosse und Gastgeber ist. Es gehört zum Modell, dass man den Aufenthalt auch zum Kennenlernen nutzt. Der Erfahrungsaustausch nach der Übernachtung sorgt für ein Urteil über die Couch-Steller. Mehr als drei Millionen Gastgeber und Reisende haben sich auf couchsurfing.org registriert.

Das Modell hat sich weiterentwickelt, in München gehen Wohnungen schon für 120 Euro am Tag über Tauschbörsen wie airbnb.com an den Kurzzeitmieter. Zu Spitzenzeiten wie der Wiesn lässt sich deutlich mehr rausholen.

Hier geht's zu den Webseiten: 9flats.com, couchsurfing.org und airbnb.de

 

KLEIDER: Es war nur ein Hobby vor fünf Jahren, sagt Susanne Richter. Jetzt ist „Kleiderkreisel“ die größte Kleidertauschbörse Europas: „Das hätte ich mir nie träumen lassen“, sagt die 25-Jährige. Mit ihren Münchner Freunden Sophie Utikal und Martin Huber hat sie eine Idee zu einer Riesen-Erfolgsgeschichte im Netz gemacht: „Es ist doch Wahnsinn, mir ständig neues zu kaufen, wenn bei meiner Nachbarin der ganze Schrank vollhängt.“ Die Idee hat überzeugt.

Man legt ein Profil an bei „Kleiderkreisel.de“, stellt ein Foto ein, sinnvollerweise die Konfektionsgröße, dazu das Kleid, die Tasche, den Gürtel, oder was man tauschen, verkaufen oder verschenken will: „Wir haben 600000 Mitglieder, 8,3 Millionen Visits im Monat und 3,9 Millionen Artikel verkauft“, sagt Susanne Richter.

95 Prozent ihrer Kleiderkreisel-Mitglieder sind weiblich, die meisten zwischen 14 und 26 Jahre alt. Nur Händler dürfen nicht mitmachen. Und der Laden läuft: „Wir sind rein werbefinanziert“, sagt Susanne Richter, die dieses Jahr ihr Sonderpädagogikstudium abschließt. „Meine Miete und meine Ausgaben kann ich bezahlen.“ „Collaborative consumption“ heißt das Schlagwort und „social shopping“. Dabei geht es nicht nur ums „Anklicken“ und „Häkchen machen wie bei Ebay“. Es gibt Tipps, das Kleidchen „aufzupimpen“. Großen Erfolg haben auch die Kleiderpartys. „Ich treffe Leute und erfahre was über das gute Stück“, sagt Frau Richter. „Es bekommt eine neue Geschichte.“ Nicht alle wollen tauschen und gebraucht kaufen.

Hat das Projekt Chancen, aus der Nische herauszukommen? „Wir wachsen“, sagt die Münchnerin: „Es gibt uns jetzt auch in Polen, Tschechien und in Litauen.“ Gefragt ist naturgemäß Trendiges für die junge Kundschaft. Und was nicht weggetauscht wird? Geht an die Diakonie.

Hier geht's zur Webseite: kleiderkreisel.de

 

AUTO: Nichts ist besser zum Tauschen und Teilhaben geeignet als ein Auto. Denn die Anschaffung ist teuer und es wird meist weniger gebraucht als gedacht. Da bietet sich teilen an – de facto gibt es vier verschiedene Carsharing-Systeme in Deutschland: Beim ersten verzichtet man ganz oder zeitweise auf sein Privatauto und benutzt ein Auto eines Carsharing-Anbieters. Der Wagen wird an einem festen Parkplatz abgeholt, abgerechnet wird meist in einer Kombination aus Zeit- und Kilometertarif.

Marktführer Flinkster bietet tagsüber Autos ab 2,50 pro Stunde, der Kilometer kostet ab 18 Cent, Sprit inklusive. Aufnahmegebühr einmalig 50 Euro, diese entfällt für Bahncard-Inhaber und MVV-Abonnenten. In München sind außerdem noch Stadtteilauto, Stattauto und Drive Carsharing vertreten.

Zum zweiten gibt es ZebraMobil und DriveNow. Hier gibt es keine festen Parkplätze. Das Auto wird per Handy geortet, die gewünschte Strecke gefahren und es irgendwo abgestellt. Abgerechnet wird nach Zeit (ab 25 Cent pro gefahrene Minute). Zum dritten gibt es noch die App-gestützte Mitfahrgelegenheit, etwa auf flinc.org. Zum vierten teilen sich Privatleute ihre Autos, etwa unter tamyca.de.

Hier geht's zu den Webseiten: flinkster.de, zebramobil.de, drivenow.de und flinc.org, tamyca.de

 

 

 

 

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