Das sollten Sie über Shitstorms und Online-Hetze wissen

Karsten Dusse hilft nicht nur im Fernsehen mit juristischem Rat weiter, sondern auch als Autor. Im Interview erklärt der Anwalt, was man beachten sollte, wenn man im Netz seine Meinung kundtut und was Gerichtsshows mit Tiefkühlpizza zu tun haben.
von  (hub/spot)

München - Karsten Dusse (42) ist nicht nur als Rechtsexperte in der VOX-Sendung "Verklag mich doch!" zu sehen. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt schreibt er als Headwriter für TV-Projekte wie "Ladykracher" und wurde als Autor mit dem Deutschen Fernsehpreis und mehrfach mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet sowie für den Grimmepreis nominiert. Mit seinem Buch "Halbwissen eines Volljuristen" (Piper, 304 Seiten, 9,99 Euro) greift er in seiner gewohnt unterhaltsamen Art zudem juristische Alltagsfragen auf und verrät die passenden Gesetze dazu, vom Nachbarschaftsstreit, Scheidungsrecht bis Ärger im Job.

"Halbwissen eines Volljuristen: Handbuch für den Rechtsstaat" von Karsten Dusse finden Sie hier

Auch Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung sind Themen in Dusses Buch. Immer wieder werden auch Prominente Opfer von Shitstorms auf Facebook & Co. Im Interview mit spot on news erklärt Dusse, was man beachten sollte, wenn man im Netz seine Meinung kund tut: "Zunächst mal sollte man sich von der Vorstellung freimachen, dass es eine Cyberwelt und daneben eine reale Welt gäbe. Dem ist nicht so. Es gibt nur eine einzige Welt, in der man sich frei entscheiden kann, ob man sich daneben benimmt oder nicht", sagt der Experte.

 

"Warum also sollte das im Netz erlaubt sein?"

 

"Jeder Internetnutzer sollte sich vor jedem Post einfach kurz überlegen, ob er das, was er da gerade als Kommentar ins Netz stellen will, auch so dem Metzger an der Fleischtheke im Supermarkt ins Gesicht sagen würde. Nein? Selbstverständlich würde niemand als "Katzenfee69" maskiert in den nächsten REWE marschieren, um die Fleischereifachverkäuferin lauthals als Nazi-Arschloch zu beschimpfen, weil er oder sie selber Vegetarier ist", so Dusse weiter: "Warum also sollte das im Netz erlaubt sein?"

Und er rät: "Wenn Sie einen Kommentar posten wollen, sagen Sie einfach auch im Internet immer höflich, wer Sie sind und was Sie sachlich von ihrem gegenüber halten. Vermeiden Sie dabei bitte alle Wörter, die Sie aus Dialogen von RTL-II-Doku-Soaps kennen. Dann sind sie eigentlich fast immer auf der sicheren Seite der erlaubten Meinungsäußerung."

 

"Das sagt einem Google nicht auf den ersten Klick"

 

Und wie steht es nach Ansicht Dusses um das juristische Allgemeinwissen? "Es gibt, Google sei Dank, ein sehr großes Detailwissen in der Bevölkerung. Jeder Betroffene weiß sofort, welche Strafe es für Sachbeschädigung, Alkoholfahrt oder fürs Heiraten gibt. Das Allgemeinwissen über die Systematik dahinter ist in meinen Augen allerdings noch ausbaufähig. Die Strafe für Sachbeschädigung mag lachhaft sein - der Zivilprozess um Schadensersatz kann einem trotzdem finanziell das Genick brechen", erklärt der Jurist weiter.

"Manchmal ist durchaus von Vorteil, rotzbesoffen im Auto erwischt zu werden - weil man dann für den anderen Blödsinn, den man am gleichen Abend begangen hat, weniger hart belangt werden kann. Und was das Heiraten angeht, sind die Voraussetzungen für eine Scheidung in der Regel höher als die für eine Ehe. Das Wort Liebe kommt im ganzen Familienrecht kein einziges Mal vor. Das sagt einem Google aber alles nicht auf den ersten Klick. Das Schöne an unserem Rechtsstaat ist eben eine sehr strukturierte Systematik. Deswegen müssen Juristen auch nicht alles wissen, sondern nur wissen wo es steht. Im Zweifel nicht bei Google."

 

Das haben Gerichtsshows mit Tiefkühlpizza zu tun

 

Dusse war unter anderem auch bei "Richterin Barbara Salesch" zu sehen. Über die heute fast verschwundenen Gerichtsshows sagt er: "Gerichtsshows waren - und sind es auch in der 500-sten Wiederholung - reines Unterhaltungsfernsehen: mit frei erfundenen Fällen und echten Anwälten. Mit der echten Arbeit vor Gericht hatte die Sendung 'Richterin Barbara Salesch' ungefähr genauso viel zu tun wie eine gut fotografierte Tiefkühlpizza mit einer Steinofenpizza beim echten Italiener. Es gab da viel Analogkäse und Separatorenfleisch. Aber genauso wie Tiefkühlpizza bei manchen Menschen den Appetit auf echte Pizza weckt, haben auch die Gerichtsshows bei manchen Menschen das Interesse an der echten Gerichtsarbeit geweckt. Das ist nicht schlecht, hat die Welt aber auch nicht verändert. Ich habe übrigens nichts gegen Tiefkühlpizza."

Das Dschungelcamp dagegen reizt Dusse nicht: "Ach, läuft das gerade...? Mich hat das Dschungelcamp ehrlich gesagt nie sonderlich interessiert. Ich schaue es demnach auch nicht. Unabhängig von meinem persönlichen Geschmack erfüllen solche Event-Formate allerdings eine wichtige Funktion. In Zeiten, in denen es keine Gartenzaungespräche über Dorfklatsch mehr gibt, kann man sich im Büro dank Dschungelcamp während der Event-Ausstrahlung mit Wildfremden über künstlich produzierte Probleme aufregen."

Ist das deutsche Fernsehen tatsächlich zu eintönig und wird zu wenig riskiert, wie häufig beklagt wird? "Das sehe ich genauso", sagt Dusse. "Eintöniges Fernsehen hat aber auch einen sehr simplen Grund: eintönige Macher. Es gibt - wie überall - auch beim Fernsehen ein ganz einfaches Prinzip: A-Leute stellen A-Leute ein. B-Leute stellen C-Leute ein. Selbstbewusste Macher (A-Leute) mit einem eigenen Kopf haben keine Angst davor, sich ebenso selbstbewusste Macher mit eigenem Kopf ins Team zu holen. So entstehen tolle Sendungen. Wenn ein Sender keinen charismatischen Macher, sondern lieber einen nüchternen Controller (B-Leute) an der Spitze haben will, dann schlägt sich das natürlich irgendwann auch auf die Personalpolitik (C-Leute) und aufs Programm durch. Es gibt in Deutschland nicht zu wenig kreative Macher. Es gibt lediglich zu viele unkreative Verhinderer. Aber das Tolle am Fernsehen ist ja, dass man es nicht schauen muss."

 

 

 

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