Der Jetta wird erwachsen

SAN FRANCISCO - Marktstart der neuen Stufenheck-Limousine von VW ist zwar erst im nächsten Januar. Aber abendzeitung.de hatte schon jetzt die Gelegenheit, mit dem endlich aus dem Golf-Schatten getretenen Modell eine Runde zu drehen.
Endlich erwachsen, endlich unabhängig, endlich frei. So fühlen sich Heranwachsende an der Schwelle zur Volljährigkeit. Die familiären Bindungen waren vielleicht gar nicht so übel, aber jetzt möchte man einfach etwas Eigenes machen. Klar, das ist nicht übertragbar, aber dennoch: Genau so geht es gerade dem VW Jetta. 30 Jahre lang war er eng eingebunden in die Golf-Familie. Nicht, dass da schlechte Gene vererbt worden wären. Aber mit dem Radstand der Kompaktklasse war es schwer, eine Limousine zu formen, die vielleicht sogar einem 3er BMW oder einer Mercedes C-Klasse hätte Konkurrenz machen können.
Warum gerade jetzt der Befreiungsschlag kommt für das international zwar recht erfolgreiche aber auf dem Heimatmarkt Deutschland immer im Schatten des Golf stehende Modell, hat viel mit den ehrgeizigen Amerika-Plänen von VW zu tun. Bis 2018 will die Marke ihren Absatz in den USA auf jährlich 800 000 Fahrzeuge fast vervierfachen. Das geht nicht ohne einen Jetta, der japanische und koreanische Rivalen locker überflügelt. Das neue Modell, das ab September in den USA und ab Januar 2011 auch in Europa angeboten wird, ist deshalb herangewachsen zum größten Jetta aller Zeiten. Mit 4,64 Meter Länge (+9 cm) spielt der in Mexiko gebaute VW plötzlich in einer ganz anderen Liga.
Die langgestreckte Karosserie wirkt zeitlos elegant
Obwohl der Marktstart in Deutschland noch ein halbes Jahr vor uns liegt, hatte die Abendzeitung bereits Gelegenheit den neuen Jetta zu fahren. Schon der erste optische Eindruck macht Lust, dieses Auto näher kennen zu lernen. Die Zeiten, in denen der Jetta (oder Bora und Vento, wie er zeitweise genannt wurde) aussah wie ein Golf mit Stufenheck gehören der Vergangenheit an. Die langgestreckte Karosserie wirkt zeitlos elegant. Innen treffen die Passagiere auf die gewohnte Umgebung mit VW-typisch hochwertigen Materialien und tadelloser Funktionalität. Nur das Raumgefühl muss komplett neu bewertet werden. So bequem hatten es die Fondpassagiere im Jetta noch nie. Die Beinfreiheit dürfte den Bestwert in dieser Klasse markieren. Der Kofferraum fasst satte 510 Liter.
Technisch kann der Jetta noch nicht abschließend beurteilt werden. Die gefahrene Amerika-Version verfügte über einen konventionellen Fünfzylinder-Motor (170 PS), eine etwas einfachere Hinterachse und eine andere Elektronik-Struktur. Grund dafür ist, dass der Jetta in den USA mit einem besonders aggressiven Preis in den Wettbewerb geht. Er wird nur 16 000 Dollar (ca. 12 600 Euro) kosten, ohne die Umsatz-Steuer, die je nach Bundesstaat um die zehn Prozent beträgt. In Deutschland peilt VW einen Basispreis von etwa 20 000 Euro an. Hier kommen allerdings nur moderne Direkteinspritz-Motoren mit kleineren Hubräumen und Turboaufladung in den Leistungsstufen 105-200 PS zum Einsatz. Mehrlenker-Hinterachse, hochwertigere Instrumente und eine serienmäßige Klimaanlage tragen ebenfalls zum Preisabstand bei. Mit dem 105-PS-TDI wird der Jetta nach Norm nur 4,2 Liter verbrauchen. Das zeigt: Der neue Jetta hat sich zwar vom Golf abgenabelt. Aber er ist erwachsen geworden, ohne gleich über die Stränge zu schlagen.
Hans-Joachim Rehg