Cuba libre: Automobile Revolution in Havanna

"Patria o Muerte!", der Lieblingssatz von Che, steht als rot gesprühtes martialisches Graffiti an einer bröckelnden Mauer der berühmten Hafenmeile Malecón - Heimat oder Tod! Ganz so dramatisch war die mit dem Audi Q2 erste Autopräsentation auf Kuba seit 1950 dann aber doch nicht.
von  (mabo/spot)

So ganz haben die Kubaner die alten Parolen ihrer Vorzeige-Revolutionäre Fidel Castro und Che Guevara noch nicht auf den Müll der Geschichte gekippt. "Patria o Muerte!", der Lieblingssatz von Che, steht als rot gesprühtes martialisches Graffiti an einer bröckelnden Mauer der berühmten Hafenmeile Malecón - Heimat oder Tod! Ganz so dramatisch war die mit dem Audi Q2 erste Autopräsentation auf der Insel seit 1950 dann aber doch nicht.

"Patria o Muerte!", der Lieblingssatz von Che Guevara, steht als rot gesprühtes martialisches Graffiti an einer bröckelnden Mauer der berühmten Hafenmeile Malecón - Heimat oder Tod! Dass sich die erst kürzlich von US-Präsident Barack Obama neu eröffnete amerikanische Botschaft in Kuba gleich um die Ecke der Guevara-Parole befindet, ist sicherlich kein Zufall. An jeder Ecke von Havanna ist sie zu besichtigen, die innere Zerrissenheit eines Landes im Jahr 57 nach Fidel Castros Machtübernahme.

Wie die Kardashians Kuba unsicher gemacht haben, sehen Sie in diesem Video auf Clipfish

Noch lebt die Vergangenheit und mit ihr der kommunistische Sozialismus; aber die Zukunft ist unumkehrbar in der Gegenwart angekommen. Die Präsentation eines urkapitalistischen Unternehmens auf kubanischem Boden? Vor ein, zwei Jahren noch völlig undenkbar, gelang Audi mit der Fahrvorstellung des neuen Mini-SUV Q2 (Motto: "Erste Ausfahrt Havanna") ein echter Coup. Als erster Autohersteller der Welt seit 1950 auf einer Insel aufzutauchen, bei der sich die Räder des automobilen Fortschritts mit der Revolution anno 1958 aufhörten zu drehen, ist schon großes Kino. Und wenn das Auto so gut ist wie die Logistik der Audianer, wie die Mitarbeiter in Ingolstadt genannt werden, dann hat der kleine Q2 das Zeug zum Verkaufsschlager.

Ein historisches Event

Vor historischer Fassade: Audi Q2-Flotte in Havanna Foto:Audi

"Neun Monate Vorbereitung, unglaublich", sinniert Audi-Vertriebschef Dietmar Voggenreiter, der mit Technikvorstand Stefan Knirsch im Firmenjet eingeflogen war, um das historische Event zu erleben. Und, als könne er noch gar nicht glauben, Kuba erobert zu haben: "Das war logistisch eine solch gigantische Herausforderung, dass wir nicht nur einmal kurz davor waren, aufzugeben."

Ein geschlagenes Dreivierteljahr gingen die Bayern mit ihrer Marketingidee schwanger, wobei die Wehen im Umgang mit der kubanischen Bürokratie schon ab dem ersten Tag einsetzten. Kleines Beispiel: Eigentlich wollte Audi die Dieselmodelle des Q2 vorstellen. Nur ist Diesel auf Kuba so schlecht, dass es bei uns sogar für die Ölheizung verboten wäre. Ob man den Treibstoff nicht mitbringen könne, fragten die Audi-Leute vorsichtig. Klare Absage der Kuba-Bürokraten: "Wir haben selbst Diesel!" Für die alternativ eingesetzten Benziner mussten Audi-Techniker die Tankstellen der Insel nach geeignetem Treibstoff abklappern. "Das war einfach irre," schüttelt einer von ihnen den Kopf. "Von unter 80 bis zu 100 Oktan war alles dabei."

Uniformierter Begleitschutz

Die Audis wurden von den Kubanern staunend und ungläubig bestaunt Foto:Audi

Oder die Sache mit den berittenen Sheriffs: Man könnte sich ja geschmeichelt fühlen, wie Barack Obama bei seinem Kuba-Besuch eskortiert zu werden. Tatsächlich wollten die Verantwortlichen neugierige Journalisten nicht unbeaufsichtigt auf der Insel herum fahren lassen. Deshalb der uniformierte Begleitschutz auf zwei Motorrädern.

Von einer Polizeieskorte begleitet, ging es auf den Roadtrip rund um Havanna Foto:Audi

Das war aber vielleicht ganz gut so, denn zur Zeit sitzen um die 100 Touristen auf Kuba fest, die mit dem Mietwagen unterwegs waren und in Verkehrsunfälle verwickelt gewesen sein sollen. Bis der Unfallhergang geklärt ist, können die Inselbesucher bis zu 30 Tagen an der Ausreise gehindert oder gar inhaftiert werden. Weniger nette Kubaner haben das Geschäftsmodell der fingierten Unfälle entwickelt. Und weil die betroffenen Gringos schnellstmöglich nach Hause fliegen wollen, lassen sie sich meist auf Vergleiche ein und bezahlen, obwohl überwiegend völlig unschuldig.

Barack Obama dinnierte in einer Bauruine

Ruinöser Eingang zum Gourmetparadies, in dem auch Barack Obama speiste Foto:Audi

Es waren also die Umstände, welche die "Erste Ausfahrt Havanna" zur - allerdings interessanten - Kaffeefahrt auf Kuba machten. Zweieinhalb Tage Aufenthalt sind ohnehin nur dazu geeignet, an der Oberfläche der verschwenderischen Schönheit zu kratzen, die der geografische Nachbar Floridas zu bieten hat. Es sind die Vorzüge der Karibik, die auf Kuba den gewohnt grauen Kommunismus zum bunten Kommunismus machte.

Symbole für Kuba: Das alte Auto und das Meer Foto:Audi

Mit weißbraunen Stränden und smaragdgrünem Wasser, mit Palmen, weiten Tabakplantagen und fruchtbaren Feldern. Und mit Menschen, die trotz ihrer Armut, in die sie durch die Lehren von Marx und Lenin gerieten, fröhlich und lebensfroh sind. Unter karibischer Sonne lässt sich eben leichter lachen.

Die zwei Gesichter von Havanna

Und so zeigt Havanna zwei Gesichter. Morbide, heruntergekommen und abbruchreif das eine, wunderschön restauriert und saniert das andere. Wobei ein Blick hinter so manche bröckelnde Fassade lohnt. Unbedingt im Restaurant Paladar La Guardia in der Concordia No. 418e/Gervasio y Escobar. Der Eingang: Trist und düster. Erster Stock: Vorsicht, Einsturzgefahr. Zweiter Stock: Ein einstmals prächtiger Saal, jetzt heruntergekommen und von Wäscheleinen durchwoben. Dritter Stock: Ein wunderschönes Restaurant mit spektakulärer Dachterrasse über den Dächern von Havanna. Eines der ersten Gourmetadressen von Havanna in einem perfekt wiederhergestellten Ambiente der 30er-Jahre. Selbst Barack Obama soll beeindruckt gewesen sein. Er war ein paar Wochen vor uns da.

Bunt auch viele Fassaden von Havanna, und auf den Straßen die berühmtesten rollenden Farbtupfer der Welt, herrliche Amischlitten aus den 50er-Jahren. Als Castro kam, mussten ihre Besitzer gehen. Seither prägen sie das Straßenbild der einst so prächtigen Stadt, die barocken Blechkunstwerke von Chevrolet, Buick, Ford, Dodge und anderen. Viele in erbärmlichen Zustand, zusammengehalten von Spachtelmasse und viel Draht.

El Loco ist der beste Oldtimer-Restaurator auf Kuba

Spezialist für US-Oldtimer aus den 50ern: "El Loco" Jorge Luis Hernandez Foto:Audi

Mit unserem Konvoi aus fünf tango-roten Q2 (jawohl, so heißt die Farbe korrekt) fahren wir in der Avenida Ira vor, die in einer Vorstadtgegend von Havanna liegt. Es ist die Adresse von Jorge Luis Hernandez, dem besten Oldtimer-Restaurator der Insel. Seiner Firma hat er nie einen Namen gegeben, er selbst ist als "El Loco" - der Verrückte - stadtbekannt. Die alten US-Schlitten sind sein Leben, über 20 Jahre seines Lebens hat der 54-Jährige mit ihnen verbracht. Sein Traumauto? "Ein Chevrolet Bel Air von 1959," grinst er, und zeigt mit dem Finger nach draußen. Vor der Garage steht einer, wie frisch aus der Fabrik. Er gehört Jorge.

Und was hält er vom neuen Q2? "Das ist eine andere Welt," zeigt er sich beeindruckt. "Solche Autos könnte ich niemals reparieren." Solche Autos sind auch längst nicht so reparaturanfällig wie seine Oldies. Was ein guter Anlass ist, über den Q2 ein paar Worte zu verlieren. Audi möchte mit ihm den Spagat schaffen zwischen wendigem Stadtauto und robustem SUV mit Offroad-Spaßfaktor. Zielgruppe? "Wir wollen die junge Generation begeistern, die für Fun, Fashion und ein Fahrfeeling wie bei einem Kart zu haben ist," sagt Jungdesigner Matthias Fink, dessen Entwurf sich im internen Wettbewerb durchsetzte und von Designchef Marc Lichte abgesegnet wurde.

Was auffällt an der Optik, ist das Zusammenspiel von scharfen Kanten, das konsequent umgesetzt wurde und dem kleinen Kompakten Eigenständigkeit gibt. Wie sich die fahrerisch äußert, war im Konvoi leider nicht zu erfahren, sorry. Ein paar Schlaglöchern auszuweichen und dabei die Direktheit der Lenkung zu spüren, war nun doch ein wenig zu wenig, um herauszufinden, was Audis Versprechen für die Zukunft tatsächlich bietet. Die gewohnt hohe Qualität darf getrost vorausgesetzt werden.

Besuch im Heiligtum der Zigarrenraucher

Letzter Stopp: Casa del Habano. Der Besuch dort hat zwar mit dem Q2 herzlich wenig zu tun, dafür mit Kuba und seinen Exportschlagern, den besten Zigarren der Welt. In dieser Cigar Lounge erhält man sie alle, die Montechristos, Cohibas und wie sie alle heißen. 1989 eröffnet, ist es das erste Zigarrenhaus auf Kuba, und Carlos Robaina, der 65-jährige Chef, hatte es in sofern ein bisschen leichter im Leben, als sein Vater Don Alejandro Robaina Pereda der Zigarren-Gott Kubas war. Seit 1845 gibt es die Company, und die Eigenmarke Puros wird aus den Blättern von 200.000 Tabakpflanzen gerollt, die im Besitz der Robainas sind. Wie groß die Plantagen sind und wie gut das Business läuft, ist Chef Carlos ebenso wenig zu entlocken wie eine Antwort auf die Frage, ob er sich vom Ende der Eiszeit zwischen Kuba und den USA viel verspricht. "Über Politik spreche ich nicht," wehrt er ab. Immerhin erfahren wir, dass ein gewisser Arnold Schwarzenegger zu seinen Stammkunden zählt.

Automobile Vergangenheit und Gegenwart auf dem Plaza de la Revolution vor dem Fassadenporträt von Che Guevara Foto:Audi

Am Hotel Nacional de Cuba, das zwar nicht die beste, aber prunkvollste Unterkunft der Insel ist, geht die "Erste Ausfahrt Havanna" zu Ende. Das hat den großen Vorteil, dass man sich jetzt bei einem erfrischenden Mojito in den prächtigen Garten dort setzen kann und die Blicke schweifen lässt. Ein Blick aufs Meer und über die Dächer Havannas, der einen träumen lässt. Von einem Havanna, das an einigen Plätzen wieder zu eine der schönsten Städte der Welt wird, die sie einmal war. Von Einheimischen, die nicht mehr von Lebensmittelmarken existieren müssen. Und davon, das neue Havanna zu erleben.

Bis es soweit ist, wird es noch eine Weile dauern. Aber bis dahin muss sich jedenfalls niemand mehr zwischen Patria und Muerte entscheiden.

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