Zwischen Welten und Kontinenten
Zum 100. Geburtstag der Fotografin Gisèle Freund gibt es eine Ausstellung und Bücher
Die Beauvoir, Duchamp, Joyce, Sartre oder Virginia Woolf kennt man durch ihren sensiblen, gespannten Blick auf sie: Gisèle Freund. Die in Berlin geborene Bildjournalistin („Life“, „Time Magazine“, Agentur Magnum) und Porträtfotografin (1908 – 2000) hatte ein feines Gespür für Menschen, brachte die Charakterköpfe der großen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts vor ihrer Kamera zum Sprechen. Heute wäre Gisèle Freund 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass gibt es eine Ausstellung in der Bayerischen Versicherungskammer – und zwei neue Bücher:
Schirmer/Mosel widmet der Pionierin der Farbfotografie einen Bildband, der den faszinierenden Porträts und Reportagen Freunds eigene Erinnerungen gegenüberstellt. Für den Arche-Verlag sprach die Pariser Journalistin Bettina de Cosnac mit Zeitgenossen und suchte in Archiven nach unveröffentlichtem Material. Beide Bände lassen das Bild einer Persönlichkeit mit viel Lebensmut zwischen den Weltkriegen und zwei Kontinenten lebendig werden.
Geboren im Bayrischen Viertel von Berlin-Schöneberg
Die Tochter eines jüdischen Kaufmanns und Kunstsammlers verließ mit 16 ihre großbürgerliche Umgebung, machte Abitur auf einer Schule für Arbeiterkinder und studierte am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Sie begann eine Dissertation über die Geschichte der französischen Fotografie des 19. Jahrhunderts – und musste Ende Mai 1933 im Nachtzug nach Paris fliehen. Im Gepäck die Leica, ein Geschenk ihres Vaters. Die kleine, schnelle Kamera diente ihr an der Seine beim Verdienen des Lebensunterhaltes – und wurde zum dritten Auge auf eine im Chaos versinkende Welt um sie herum: In Frankfurt hatte Freund schon 1932 die Demonstrationen am 1. Mai und Studenten beim Hitlergruß fotografiert. Die ersten Aufnahmen in Paris entstanden auf dem internationalen Schriftstellerkongress 1935 – von den Dichtern und Denkern kam sie fortan nicht mehr los.
Aber auch ihr Interesse an den politischen und sozialen Verhältnissen blieb zeitlebens wach: 1936 reiste sie nach Nordengland, dokumentierte mitfühlend das Elend der Arbeitslosen. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sie Kontakte geknüpft, etwa zu Walter Benjamin oder André Malraux, den sie später immer wieder porträtierte. Bereits Ende der 30er Jahre arbeitete sie mit Farbfilm, schuf ihre berühmten Porträts von Cocteau, Colette oder André Gide mit Totenmaske.
Die Grand Dame der Fotografie
1941 musste sie erneut emigrieren, diesmal nach Argentinien und Mexiko, wo sie Anschluss an die Intellektuellenkreise um Frida Kahlo und Diego Rivera fand. Ihre Reportage über die Luxus-liebende Präsidentengattin Evita Péron löste eine diplomatische Eiszeit zwischen Argentinien und den USA aus. 1950 kehrte sie zurück nach Paris, erlebte die große Zeit der Caféhaus-Literaten. Die breite Anerkennung für die „Grande Dame der Fotografie“ kam spät, seit den 70er Jahren würdigte man sie in immer mehr Ausstellungen. Ruhm bedeutete ihr aber nicht viel. Bei Ehrungen oder lästigen Anlässen pflegte sie zu sagen: „Alles Mumpitz-Kohlrabi“.
Roberta De Righi
Ausstellung im Kunstfoyer der Bayerischen Versicherungskammer (Maximilianstraße 53), bis 18.1., 9 bis 19 Uhr, feiertags geschlossen. Bücher: Bettina de Cosnac: „Ein Leben“ (Arche, 304 Seiten, 24 Abbildungen, 24 Euro); „Gisèle Freund – Fotografien und Erinnerungen“ (Schirmer/Mosel, 224 Seiten, 205 Abbildungen, 49.80 Euro)