Zwischen Liebe und Loyalität

Dokumentarisch genau und begeisternd prall erzählt: Dara Horns Roman „Vor allen Nächten“ nimmt einen historischen Stoff aus der Zeit kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg zum Thema
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Dokumentarisch genau und begeisternd prall erzählt: Dara Horns Roman „Vor allen Nächten“ nimmt einen historischen Stoff aus der Zeit kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg zum Thema

Wie die Grenze zwischen Pennsylvania und Maryland Mitte des 18. Jahrhunderts festgelegt wurde, hat der geheimnisumwitterte US-Autor Thomas Pynchon (72) in seinem 1000-Seiten-Roman „Mason & Dixon“ mustergültig ausfabuliert – historisch belegt und um viele Erfindungen bereichert. Ganz ähnlich ist seine 40 Jahre jüngere Kollegin Dara Horn, die uns vor drei Jahren mit dem Roman „Die kommende Welt“ erstmals bekannt gemacht wurde, bei ihrem neuen Roman „Vor allen Nächten“ vorgegangen. Er beginnt 1861, rund hundert Jahre nach der Grenzziehung, am Vorabend des Bürgerkriegs zwischen den Nord- und Südstaaten.

Um der von seinem Vater arrangierten Ehe mit der Tochter eines Geschäftspartners zu entgehen, meldet sich Jacob Rappaport als Soldat beim 18. New Yorker Infanterieregiment, um für die Abschaffung der Sklaverei zu kämpfen. Gleich die erste Aufgabe wird für den Sohn jüdischer Emi-granten aus Deutschland zur heiklen Bewährungsprobe: Er soll in New Orleans seinen Onkel Harris Hyam vergiften, der angeblich als Agent der Südstaaten ein Attentat auf Präsident Abraham Lincoln plant. Ausgerüstet mit einer Giftpatrone reist Jacob zu dem siebentägigen Pessachfest in den Süden und erlebt dort, wie sich sein Onkel von schwarzen Sklaven bedienen lässt und wie überheblich er sie behandelt.

500 Seiten Spannung

Nach erfüllter Mission, die einen Vorgeschmack auf die folgenden knapp 500 Seiten voller Spannung gibt, folgt für den 19-jährigen Rappaport gleich der nächste Auftrag, der noch mehr Gefühle und Gewalt in die ohnehin schon turbulente Handlung bringt: Nun soll er die Spionin Eugenia Levy bespitzeln – und heiraten.

Was Rappaport bei der Familie Levy an lebensfroher Weiblichkeit zu sehen bekommt, lässt ihn mehr als einmal die Luft anhalten: „Sie waren zu viert, vier dunkeläugige Schönheiten, die älteren so hinreißend, dass man sich auf der Straße nach ihnen umdrehte. Und jede von ihnen war auf ihre Weise völlig verdreht.“ Man kann es dem jungen Mann nachfühlen, dass er über den Anblick des anderen Geschlechts seinen militärischen Auftrag vergisst und sich in Levy verliebt.

Bei der Ausgestaltung dieses großen historischen Stoffes über Liebe und Loyalität sowie Rasse und Religion in Zeiten der Sklaverei kommt der erst 32-jährigen Harvard-Absolventin Horn ihr präziser Umgang mit Fakten zugute, den die dreifache Mutter in Studententagen als Dokumentarin für das Geschichtsmagazin „American Heritage“ gelernt hat.

Begeisternd

So erinnert sie etwa an Judah P. Benjamin, das erste jüdische Kabinettsmitglied der US-Geschichte, einen begnadeten Redner. Er diente im Bürgerkrieg der Regierung der Konföderierten Staaten als Außenminister. Als Vertrauter des konföderierten Präsidenten Jefferson Davis leitete Benjamin ein weit verzweigtes Spionagenetz und trat gegen Ende des Bürgerkriegs für die Freilassung der Sklaven ein.

Noch größer als ihre dokumentarische Genauigkeit aber ist Dara Horns Lust, beim Erzählen aus dem Vollen zu schöpfen. Man folgt ihr widerstandslos und mit zunehmender Begeisterung.

Reinhard Helling

Dara Horn: „Vor allen Nächten“ (Berlin Verlag, 478 S., 22 Euro)

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