Zwei Seelen, ach!
Sie kann viel, aber (noch) nicht alles: Der Münchner Klavierabend im nahezu ausverkauften Prinzregententheater enthielt zwanzig grandiose Liszt-Minuten, das übrige Programm demonstrierte auf deutliche Weise, was der jungen Gipfelstürmerin Alice Sara Ott noch fehlt.
Man kann den Pointen in Beethovens früher Sonate op.2 Nr. 3 auf unterschiedliche Weise beikommen: brillant, lakonisch, unbefangen zurückhaltend. Man kann die Sonate auf Mozart zurückführen, oder das Zukunftweisende in ihr herausarbeiten.
Alice Sara Ott setzte sich zwischen alle Stühle. Sie spielte kühl, nahm viel zu schnelle Tempi, machte weder klar, was die einzelnen Motive der jeweiligen Sätze miteinander zu tun haben, noch fand sie in Ausdruck und Dynamik eine angemessene Balance.
Ähnlich enttäuschend musizierte sie nach der Pause fünf der bekanntesten Walzer von Chopin – rhythmisch manieriert, ohne Charme und Raffinement. Ein verlorener Abend, dachte man, weil auch die einleitenden Duport-Variationen Mozarts nur brave Klavierstunden-Virtuosität boten.
Doch dann die Überraschung: Die abschließende Liszt-Auswahl („Rigoletto”-Paraphrase und aus den zwölf „Etudes d´exécution transcendante”) bewältigte Alice Sara Ott derart grandios, dass man eine andere Pianistin auf dem Podium wähnte: mit unglaublicher Sicherheit, Kraft und jener ekstatischen Maßlosigkeit, die um Längen angemessener ist als der brave, intellektuelle Ernst, mit dem sich die meisten ihrer Kollegen hier aus der Affäre stehlen. Ein Feuerwerk bei Liszt, Hilflosigkeit gegenüber Beethoven, aber auch Chopin. Das überraschte dann doch und provozierte geradezu die Frage, wer dieses Ausnahmetalent bei der Programm-Auswahl berät.