Zu schön, um glücklich zu sein

Harald Martenstein hat einen Roman über eine freiheitsliebende Frau geschrieben
von  Abendzeitung

Harald Martenstein hat einen Roman über eine freiheitsliebende Frau geschrieben

Fast fünf Jahrzehnte verfangen sich fast zwei Dutzend Männer im Netz von N., der Verführerin, die aber in Harald Martensteins Bestseller „Gefühlte Nähe“ ihr Leben nie richtig in den Griff bekommt.

AZ:Herr Martenstein, Sie spiegeln Ihre Protagonistin N. in „Gefühlte Nähe“ anhand von 23 männlichen Begegnungen in 23 kurzen Kapiteln.

HARALD MARTENSTEIN: N. ist eine Projektionsfläche und mein Alibi, Geschichten über Männer in Grundsituationen des Liebeslebens zu schreiben. Dabei erfährt man dann natürlich auch immer mehr über die Frau. Ich habe diese fragmentierte Form für meinen Roman gewählt, weil ihr Leben auch in Einzelteile zerfällt. In immer wieder neue Anläufe, die ins Nichts führen.

Einer ihrer Männer zieht ein düsteres Fazit: „Halten Sie sich von der Liebe fern!“

Aber er sagt auch: „Wenn Sie es können.“ Und das kann ja fast niemand. Liebe bedeutet heute etwas Anderes als vor 30 oder 50 Jahren. Die gesellschaftlichen Konventionen sind lockerer geworden, die persönliche Freiheit ist viel größer. Andererseits hat dies auch zu nachlassender Fähigkeit geführt, Dauer und Substanz in einer Beziehung zu etablieren. Und Nähe hat auch etwas mit Dauer zu tun.

Warum? Es gibt doch das Gefühl von frisch Verliebten, sich schon immer zu kennen.

Ja, frisch Verliebte glauben daran, aber es stimmt natürlich nicht. Und das merken die dann auch bald.

N. ist hinreißend schön und intelligent. Aber sie findet ihr Glück nicht.

Wenn ich mich so in meinem Bekanntenkreis umschaue, dann stelle ich doch empirisch fest, dass es meist die schönsten Frauen sind, die keine dauerhafte Beziehung führen können. Im Grunde könnten sie jeden Mann haben, aber das ist genau das Problem: keiner ist perfekt. Und Pragmatismus und Verzicht gehören halt auch zu einer geglückten Beziehung.

Fühlen Sie sich als Verfasser einer humoristischen „Zeit“-Kolumne verpflichtet, einen unterhaltsamen Roman zu schreiben?

Nein, der Unterhaltungsaspekt interessiert mich überhaupt nicht. Ich versuche im Roman schreibend, etwas über das moderne Leben und unsere Zeit kennenzulernen, was ich bisher noch nicht wusste. „Gefühlte Nähe“ ist ja auch nicht humoristisch, sogar weitgehend humorfrei und verdüstert sich zum Ende hin. Wenn das viele Leser unterhaltend finden, freut es mich natürlich. Andererseits mag ich persönlich auch keine artistische Schreibe, bei der die Form über den Inhalt triumphiert.

Sie haben Ihre „Zeit“-Kolumne dafür genutzt, sehr humorvoll auf einen fürchterlichen Verriss Ihres Buches zu reagieren. Auch stellvertretend für andere Autoren, die sich nicht so prominent wehren können?

Nein, das würde ich mir nicht anmaßen. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass ein Autor einen Verriss auch aushalten muss, sonst sollte er es bleiben lassen. Aber in diesem konkreten Fall hat der Kritiker doch seine Macht missbraucht. So eine Ansammlung von Verbalinjurien hatte ich überhaupt noch nie gelesen.

Es hat Sie wütend gemacht?

Nein, ich war eher fassungslos, habe aber schnell gedacht, dass ich mir so eine Steilvorlage nicht entgehen lassen kann. Ich habe auch schon jahrzehntelang künstlerische Hervorbringungen in der Zeitung kritisiert, aber ich bin ja nicht persönlich beleidigt, wenn mir ein Buch oder ein Film nicht gefällt.

Sie haben mit Ihrer Kolumne immerhin bewirkt, dass die Altersfreigabe von Til Schweigers „Keinohrhasen“ von sechs auf zwölf Jahre angehoben wurde.

Nach meinem Text konnte die FSK ihrer eigenen Argumentation, die Kinder könnten die verbalen sexuellen Anspielungen ja gar nicht verstehen, deswegen sei er so harmlos, auch nicht mehr folgen. Es ist aber leider der einzige journalistische Text, mit dem ich nachweisbar etwas erreicht habe. Auch wenn ich über weitaus wichtigere Themen geschrieben habe. Aber man kann sich halt seine Erfolge genauso wenig aussuchen wie seine Misserfolge.

Volker Isfort

Harald Martenstein stellt „Gefühlte Nähe“ (Bertelsmann, 222 Seiten, 19.90 Euro) am Donnerstag im Literaturhaus vor (20 Uhr)

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