Zivilisierte zeigen Zähne

Samstag Premiere im Resi: »Der Gott des Gemetzels« von Yasmina Reza
von  Abendzeitung

Samstag Premiere im Resi: »Der Gott des Gemetzels« von Yasmina Reza

Beide sind schon lange im Ensemble von Dieter Dorn, aber erst einmal spielten sie im selben Stück – in „Troilus und Cressida“ an den Kammerspielen 1986. Doch da hatten Sunnyi Melles als Cressida und Sibylle Canonica als Cassandra keine gemeinsame Szene. Jetzt liefern sich die beiden einen verbalen Schlagabtausch der Sonderklasse: Im Residenz Theater inszeniert Dieter Dorn „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza mit Sibylle Canonica, Sunnyi Melles, Stefan Hunstein und Michael von Au. Am Samstag ist Premiere.
Yasmina Rezas jüngstes Stück ist der Renner der Saison, es wird landauf, landab gespielt.Wie schon in „Kunst“ und in „Drei Mal Leben“, das 2002 im Cuvilliés Theater zu sehen war, lässt die französische Autorin ein gutbürgerliches Zusammentreffen in die Katastrophe entgleisen. Zwei elfjährige Jungs haben sich gekloppt, dabei hat einer zwei Zähne verloren. Nun wollen die Eltern die Sache gütlich regeln, wie unter zivilisierten Leuten üblich. Doch im Laufe des Besuchs der Reilles bei den Houillés kriegt der Firnis der Zivilisation immer mehr Risse und enthüllt blanke atavistische Aggression – auch unter den Ehepaaren. Véronique Houillé vertritt als Schriftstellerin und Kunstbuchhändlerin das politisch korrekte Gutmenschentum.
Sibylle Canonica sagt über ihre Figur: „Véronique hält sich sehr aufrecht. Sie ist eine Idealistin und setzt sich ungeheuer ein. Wenn man ihr das wegnähme, weiß ich nicht, ob da am Schluss nicht eine große Leere wäre.“ SunnyiMelles spielt die Vermögensberaterin Annette, der buchstäblich die Galle hochkommt. Und die schließlich genervt das Handy ihres ewig telefonierenden Anwaltsgatten in der Tulpenvase versenkt. Die Proben zu einem Stück, in dem sich die verbale Gewalt immer mehr aufschaukelt, empfindet Melles wie einen Boxkampf: „Man muss austeilen und einstecken. Reza verlangt absolute Wahrhaftigkeit, sie liefert uns – wie William Shakespeare – einen Spiegel.
Man muss die Niederungen in sich suchen. Wir müssen uns erinnern, wie wir mit unseren Kindern und mit Gewalt umgehen. Denn Kommunikation fängt zu Hause an, in der eigenen Familie. Für mich ist dieses Theaterstück eine existenzielle Arbeit gewesen und eine der wichtigsten Arbeiten mit Dieter Dorn. Ich hoffe, dass das Stück auch den Zuschauer so direkt angeht.“ Reden, das tun Rezas Figuren ja unentwegt, aber eben auch immer aneinander vorbei.
Gerade deshalb findet Sibylle Canonica es wichtig, nicht im boulevardesken Konversationsstück stecken zu bleiben: „Dann würde man abrutschen.“ Dass die vier Personen trotz oder wegen des Redens immer feindseliger werden, erklärt sie so: „Jede Figur hat absolut Recht, deswegen bewegt sich keiner einenMillimeter. Man bestätigt sich selbst und seine Haltung und fühlt sich dadurch sicher. Das Stück zeigt deutlich, wie unbeweglich man ist und Gelegenheiten verschleudert. Das erzeugt zum Teil tragisch-komische Situationen.“
Aus dem Krieg der Kinder entwickelt sich ein Krieg zwischen den Eltern. „Wir haben ja selber Kinder“, sagt Sunnyi Melles. „Man weiß, wie man sie als Löwenmama schützen will und sich dabei vielleicht ins Unrecht setzt. Reza fordert ein, dass man miteinander reden muss, nicht nur verbal hinschlagen.“ Sibylle Canonica ergänzt: „Gewalt ist überall um uns herum. Kein Wunder, dass auch die Kleinsten sich die Köpfe einschlagen. Es sind ja alles aufgeklärte Leute, die nicht die Kurve kriegen. Ihre zivilisierte Schicht ist so dünn, dass sie nicht mal diesem Konflikt standhält, dessen Lösung so nahe wäre.“
Dann schlägt der Gott des Gemetzels zu und macht alle gleichermaßen zu Opfern wie Tätern. Die emotionale Achterbahn beschreibt Sunnyi Melles so: „Man wird von allen Richtungen geschlagen, durch den Wolf gedreht, man zerbricht an den Verletzungen. Aber Reza rechnet nicht nur ab. Sie hat einen Humor, der versöhnt, und das ist für mich das Überlebensziel.“ Sie sieht in Yasmina Reza eine große Autorin am Puls der Zeit, die mit demHerbeizitieren eines Gottes ein ganzes Universum kreiert. In der biblischen Anspielung „Zahn um Zahn“ entdeckt sie alltäglich Vertrautes: „Ich weiß von meinen Kindern, wie dramatisch es ist, einen Zahn zu verlieren.“ „Und wie lange es dauert, bis der erste überhaupt gekommen ist“, ergänzt Sibylle Canonica: „Außerdem sind die Zähne ja das Härteste am Menschen.“ „Und die Wurzel des Übels“, lacht Melles.
Den Spaß am Spielen garantiert die Vitalität der Figuren. „Sie machen sich zwar fertig, gehen aber nicht kaputt“, sagt Sibylle Canonica. „Dieses Intermezzo findet ja in der Mittagspause statt, sozusagen zwischen zwei Geschäftsterminen.“ Yasmina Reza, deren neues Buch „Frühmorgens, abends oder nachts“ über Präsident Nicolas Sarkozy am 3. März auf Deutsch bei Hanser erscheint, inszeniert übrigens ihr Stück gerade selbst in Paris. Gabriella Lorenz

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