Zahn um Zahn

Eine grandiose Aufführung, die das Zeug zur Bühnenlegende hat: "Der Gott des Gemetzels" in Dieter Dorns Resi-Inszenierung.
von  Abendzeitung

Eine grandiose Aufführung, die das Zeug zur Bühnenlegende hat: "Der Gott des Gemetzels" in Dieter Dorns Resi-Inszenierung.

So schön hat man noch nie jemand kotzen gesehen: In weitem Bogen übersät Annette ihren Mann und den Couchtisch ihrer Gastgeber samt deren Kunstbüchern mit ihrem Mageninhalt und würgt dann ausgiebig noch die letzte Galle raus. Was Sunnyi Melles da spielt, hat das Zeug zur Bühnenlegende. Wie die ganze Aufführung im Residenz Theater:

Mit „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza führte Regisseur Dieter Dorn sein fabelhaftes Schauspielerquartett Sunnyi Melles, Sibylle Canonica, Stefan Hunstein und Michael von Au zum triumphalen Erfolg. Nicht umsonst wird Yasmina Rezas komische Tragödie derzeit überall gespielt: Ihre glänzende, bitterböse Vivisektion eines Bürgertums, das unter dem dünnen Lack der Zivilisation doch nur atavistischen Aggressionen folgt, ist ein Selbstläufer. Dorn und seine Stars veredeln es zum Schauspielerfest feinster psychologischer Verästelungen.

Annette und Alain, Véronique und Michel sind uns ganz nah: Jürgen Rose hat drei Zuschauerreihen geopfert, um die Vorbühne ins Parkett zu bauen. Hinter dem Podest fürs Kammerspiel gähnt die durch einen Trompe-l’Oeil- Prospekt verdoppelte Tiefe des grauen Bühnenraums, der nur am Schluss einmal bespielt wird: Eine weggeschleuderte Handtasche signalisiert den Absturz ins Bodenlose.

Aus dem Krieg der Kinder wird schnell ein Krieg der Eltern

Als „Weltbürger“ wollen sie mit der „Kunst des zivilisierten Umgangs“ die Schlägerei ihrer beiden Söhne, bei denen einer zwei Zähne verloren hat, gütlich beilegen. Doch schnell wird aus dem Krieg der Kinder ein Krieg der Eltern und das Wohnzimmer zum nicht nur verbalen Schlachtfeld. Dass der Anwalt Alain (Stefan Hunstein) ständig per Handy mit seinem Pharma-Konzern telefoniert, nervt alle, aber am meisten seine Frau Annette (Sunnyi Melles). Dass die fundamentalistische Gutmenschin Véronique (Sibylle Canonica) große Worte liebt und Sätze wie Pfeile abschießt, hat auch ihr Gatte Michel (Michael von Au), ein Eisenwarenhändler, längst satt.

Im Einverständnis heischenden Aneinander-Vorbeireden der Paare brechen die Beziehungskonflikte auf – allmählich lässt jeder die Bestie in sich raus. Am deutlichsten die anfangs zurückhaltende Annette: Sunnyi Melles’ Ton wird scharf und schärfer, bis sie die Raubtierkrallen ausfährt und wie eine Polizeisirene kreischt.

Alles wird zur Waffe

Véronique prügelt auf ihren Mann ein, der sich über einer alle enthemmenden Flasche Rum mit Alain verbündet. Der möchte zynische Nonchalance bewahren, doch die Allianzen und Fronten wechseln, alles wird zur Waffe, jeder kämpft gegen jeden. Das ist verzweifelt komisch, aber nicht lustig: Die Illusion ziviler Harmonie geht in diesem „Bürgerkrieg“ endgültig flöten. Gabriella Lorenz

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